07 Von fremder Hand
Bild der verwitterten Steine der Abtei nicht aus dem Sinn, wie sie sich aus dem smaragdgrünen Gras erhoben... und das Bild der felsigen Flanke des Tor hinter Garnet Todds Haus in der Wellhouse Lane, mit dem verfallenen Turm auf dem Gipfel, der sich wie ein riesiger Finger himmelwärts reckte.
Gemma versank in der gewohnten Routine des Montagvormittags wie ein Stein in einem Teich, und doch hatte das Ganze etwas Unwirkliches, als ob die Hektik und das geschäftige Treiben ihrer Londoner Existenz lediglich ein oberflächlicher Geräuschteppich sei. Während sie sich durch die Berichte und Akten kämpfte, die sich über das Wochenende auf ihrem Schreibtisch angehäuft hatten, vergaß sie nie, dass sie Kincaid versprochen hatte, Erkundigungen über die an dem Fall Beteiligten einzuziehen. Sobald sie eine freie Minute hatte, setzte sie die entsprechenden Hebel in Bewegung.
Am Spätnachmittag trafen die ersten Informationen ein.
Garnet Todd hatte eine Vorstrafe, wenn auch nur eine unbedeutende. Sie hatte sich in den Sechzigerjahren während einer Protestveranstaltung gegen den Vietnamkrieg in London der Verhaftung widersetzt und war des Besitzes von Halluzinogenen überführt worden. Daran war nichts Überraschendes.
Garnet hatte schon immer den unkonventionellen Weg gewählt.
Nick Carlisle war, wie Greely erwähnt hatte, vor vier Jahren nach einer Schlägerei in einem Pub verhaftet worden, wobei man seine Fingerabdrücke registriert hatte - eine typische Jugendsünde. Was sie überraschte, war die Tatsache, dass Nicks Mutter, deren Aufsicht er nach seiner Entlassung unterstellt worden war, die berühmte nordenglische Romanautorin Elizabeth Carlisle war. Warum sollte Elizabeth Carlisles Sohn sich für ein Leben in vergleichsweise erbärmlichen Verhältnissen in irgendeinem Nest in Somerset entscheiden, wenn ihm seine Beziehungen doch einen aussichtsreichen Start in einem angesehenen Beruf hätten verschaffen können? Aus Prinzip? Oder weil es irgendwelchen Ärger mit der Familie gab?
Sie ließ sich mit der Kripo in Durham verbinden und bat um die Nummer der Polizeistation in dem kleinen Dorf, wo Elizabeth Carlisle lebte. Es meldete sich niemand, als sie dort anrief, doch sie hinterließ ihren Namen und ihre Telefonnummer auf dem Anrufbeantworter des Dorfpolizisten.
Kincaid hatte sie am Abend zuvor angerufen und ihr von dem negativen Ergebnis der Suche nach dem Manuskript berichtet wie auch von Nicks Verschwinden und von DCI Greelys plötzlichem Interesse an Jack.
»Was hat denn der Chef gesagt, als du ihn angerufen hast?«, hatte sie gefragt.
»Offiziell, dass ich mir nicht die Finger schmutzig machen und mich darauf einstellen soll, mich augenblicklich wieder nach London zu beamen, sobald sich in diesem Borough-Market-Mordfall irgendetwas ergibt. Inoffiziell hat er vom Polizeipräsidenten Dampf bekommen und wird mir die Leviten lesen, wenn Greely sich darüber beschwert, dass ich mich in seinen Fall einmische.«
»Aua!«
»Genau. Ich hoffe nur, dass ich das hier nicht verbocke.«
Und dann, kurz bevor er aufgelegt hatte: »Ach, übrigens, du fehlst mir.«
Gemma lächelte, als sie an das Gespräch zurückdachte; dann ließ sie sich noch einmal durch den Kopf gehen, was er ihr erzählt hatte. Ihr fiel auf, dass Faith von Garnets Kenntnissen über Göttinnenverehrung gesprochen hatte, und nun traf Nick sich mit Freunden der Verstorbenen, die sich für die gleichen Dinge interessierten. War es denkbar, dass der Mord an Garnet mit irgendeiner Kultreligion zusammenhing, der sie angehangen hatte? War es möglich, dass ihr Tod gar nichts mit Winnie oder Jack zu tun hatte?
Sie gab das Stichwort »Göttinnenverehrung« in die Such-maschine ihres Computers ein. Die Anzahl der Treffer war überwältigend, doch sie machte sich entschlossen daran, sie zu sichten, überflog die Artikel und Internetseiten über heidnische Kulte. Ein Name sprang ihr ins Auge. Sie ging mit dem Cursor ein Stück zurück und markierte den Titel einer Monografie über Die Geschichte der Göttin in der keltischen Mythologie von einer gewissen Dr. Erika Rosenthal.
Sie hatte einige Wochen zuvor im Zuge einer Ermittlung eine Erika Rosenthal kennen gelernt - der Name war doch gewiss nicht so häufig. Bei einer älteren Dame in Arundel Gardens war eingebrochen worden, und da die professionelle Durchführung des Einbruchs Gemma Sorgen bereitet hatte, war sie selbst hingefahren, um sich vor
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