07 Von fremder Hand
Ort umzusehen und mit dem Opfer zu sprechen.
Wie sich herausgestellt hatte, war Erika Rosenthal eine hellwache Neunzigerin und äußerst erzürnt über den Diebstahl einiger wertvoller Antiquitäten. Gemma war sie auf Anhieb sympathisch gewesen, ebenso wie ihr entzückendes Haus voller Bücher und wunderbarer Gemälde; ganz besonders hatte es ihr der Salonflügel angetan.
Gemma konnte nur einen Teil von Dr. Rosenthals Artikel überfliegen, bevor sie unterbrochen wurde, und als sie endlich das Tagespensum auf ihrem Schreibtisch abgearbeitet hatte, war es halb sechs. Einer spontanen Eingebung folgend, stopfte sie den Artikel in ihre Aktentasche und rief Hazel an, um ihr zu sagen, dass sie vielleicht etwas später kommen würde.
Ein feiner Dunst hing in der windstillen Luft, und der nasse Asphalt glänzte. Sie liebte dieses Wetter, so wie sie den Herbst in all seinen Erscheinungsformen liebte. Begierig sog sie die kühle, feuchte Luft ein, während sie zu Fuß in Richtung Arundel Gardens ging.
Erika Rosenthals Haus war in Würde gealtert. Sein hellgrauer Putz war ein wenig verblasst, was einen eher heimeligen Effekt hatte, und weder Satellitenschüssel noch Alarmanlage zierten Wände und Dach. Allerdings hatte das Fehlen einer solchen Anlage wahrscheinlich zu Mrs. Rosenthals Verlust beigetragen.
Gemma klingelte, und die alte Dame erschien an der Tür. Ihre Miene hellte sich auf, als sie das Gesicht erkannte.
»Inspector James! Sie haben meine Sachen gefunden.« Sie war eine winzige Frau mit weißem Haar, das zu einem glatten Knoten gebunden war, und leuchtenden schwarzen Knopfaugen, die aus einem von feinen Fältchen überzogenen Gesicht hervorlugten.
»Nein, das ist uns leider noch nicht gelungen. Ich bin aus einem ganz anderen Grund gekommen, Mrs. Rosenthal - wenn Sie einen Moment Zeit hätten.«
»Selbstverständlich. Kommen Sie nur herein und wärmen Sie sich ein bisschen auf.«
Gemma stellte sich vor den elektrischen Kamin und blickte sich mit Wohlgefallen um. Sie widerstand der Versuchung, zu dem Flügel hinüberzugehen, doch für einen Moment gab sie sich der Vorstellung hin, selbst in einem Haus wie diesem zu wohnen. Dann schalt sie sich für ihre unrealistischen Fantasien und sagte nur »Danke sehr, das ist sehr nett von Ihnen«, als ihr ein Glas Sherry angeboten wurde.
»Also, was kann ich für Sie tun?«, fragte Mrs. Rosenthal, indem sie sich auf einen Sessel niederließ. Auf dem Tischchen neben ihrem Platz lag ein aufgeschlagenes Buch, ein Bericht über Mallorys und Irvines verhängnisvolle Everest-Expedition. Sie bemerkte Gemmas Interesse und fügte hinzu: »Seit ich mich nicht mehr schuldig fühlen muss, weil ich mich selbst nicht an solche Dinge heranwage, genieße ich meine Abenteuer ganz entspannt vom Wohnzimmersessel aus.«
»Sind Sie die Dr. Erika Rosenthal, die eine Monografie über heidnische Göttinnenverehrung verfasst hat?«
Mrs. Rosenthal kicherte. »Die bin ich. Aber warum in aller Welt interessieren Sie sich dafür?«
Wie bereits bei ihrem ersten Besuch fiel Gemma auf, dass Dr. Rosenthal einen ganz leichten Akzent hatte - deutsch oder osteuropäisch. »Ich habe - hm... ich habe bei Ermittlungen in einem Mordfall in Glastonbury mitgearbeitet. Das Opfer scheint gewisse Kenntnisse im Bereich der Göttinnenverehrung besessen zu haben, und wir sind nicht sicher, ob das für den Fall irgendwie relevant ist.«
»Und da haben Sie recherchiert und sind auf meinen Namen gestoßen. Kluges Mädchen - oder junge Frau, besser gesagt«, entschuldigte sie sich mit einem Augenzwinkern. »Aber von meiner Warte aus gesehen ist jede Frau unter siebzig ein Mädchen.«
»Aus Ihrem Artikel habe ich geschlossen, dass Sie eine ziemlich angesehene Autorität auf dem Gebiet heidnischer Kulte sind.«
»Ich bin Historikerin, meine Liebe, und ich bin nicht sicher, ob in akademischen Kreisen jemals irgendeine Autorität uneingeschränktes Ansehen genießt. Aber es stimmt schon - ich habe einen Großteil meines beruflichen Lebens diesem Thema gewidmet.«
»Aus dem, was ich heute Nachmittag gelesen habe, habe ich den Eindruck gewonnen, dass die Göttinnenverehrung eine überwiegend harmlose, wenn nicht gar positive Sache ist. Zurück zur Mutter Erde und all solche Sachen. Und ich kann auch nicht eben behaupten, dass die Männer sich beim Regieren der Welt allzu sehr mit Ruhm bekleckert hätten, also ist das Matriarchat vielleicht auch keine
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