07 Von fremder Hand
nirgendwo zu sehen. Einen Moment lang ließ sie sich von der Enttäuschung überwältigen, dann schalt sie sich. Sicherlich würde er bald zurückkommen - es war schon fast fünf Uhr. Sie würde Tee trinken und sich ein wenig mit Faith unterhalten, während sie auf ihn wartete.
Also schwang sie sich wieder aufs Rad und bog um die Ecke in die Wellhouse Lane. Sie stellte das Rad an dem mit Bändern geschmückten Baum im Vorhof des Cafés ab und ging hinein. Es waren keine anderen Gäste dort, und für einen Moment glaubte sie, die Küche sei ebenfalls leer, doch dann erschien Faiths kurz geschorener Kopf über der Theke, und Winnie hörte sie sagen: »’tschuldigung. Was kann ich für Sie - Winnie!«
»Wie geht’s denn so, Faith? Kann man in dem Laden hier vielleicht eine Tasse Tee bekommen?«, fragte Winnie munter, in der Hoffnung, dass Faith ihr den Schock nicht anmerken würde. Der rosige Teint, der Faith fast über ihre gesamte Schwangerschaft hinweg ausgezeichnet hatte, war verschwunden. Das Mädchen wirkte vollkommen erschöpft, und ihre Haut war von ungesunder Blässe. »Mach dir doch selbst auch eine Tasse und setz dich zu mir. Wo ist denn Buddy heute Nachmittag?«
»Er ist zum Großmarkt gefahren, um Lebensmittel einzukaufen. Er wollte mich gar nicht allein lassen - als ob ich den Laden nicht allein schmeißen könnte.« Faith wandte sich ab und begann mit Kessel und Teetassen zu hantieren. Als sie den Tee bereitet hatte, kam sie hinter der Theke vor und stellte die Tassen auf einen Tisch. Winnie fiel auf, dass das Mädchen inzwischen sehr unbeholfen aussah; ihre Arme und Beine waren viel zu dünn im Vergleich mit ihrem angeschwollenen Bauch.
»Fühlst du dich gut, Faith?«
»Ich schlafe in letzter Zeit nicht besonders.« Faith rang sich ein Lächeln ab. »Das Baby drückt auf mein Zwerchfell, wenn ich liege, und dann habe ich ein Gefühl, als bekäme ich keine Luft mehr.«
»Warst du mal in der Klinik und hast dich untersuchen lassen?«
Das Mädchen schüttelte energisch den Kopf. »Garnet sagt, dass das vollkommen normal ist. Und ich habe jetzt nur noch ein paar Wochen zu überstehen.«
»Aber -« Winnie sah, wie Faith in der ihr bekannten Trotzreaktion den Kopf in den Nacken warf, und gab sich vorläufig geschlagen. Sie nahm einen Schluck Tee und setzte dann erneut an. »Wir haben dich vermisst. Du hast uns in letzter Zeit gar nicht mehr besucht.«
»Gibt es etwas Neues... von Edmund?«, fragte Faith neugierig, und ihre Augen leuchteten.
»O ja. Wir haben endlich Fortschritte gemacht. Gestern haben Jack und Simon in Erfahrung gebracht, dass Edmund dabei war, als Thurstan, der erste normannische Abt, einige der Mönche mitten in der Kirche ermorden ließ. Der eine wirkliche Zufluchtsort, den sie hatten, und ihr eigener Abt...« Sie schüttelte sich. »Es muss furchtbar gewesen sein - einfach unvorstellbar.«
»Darüber haben wir auch in der Schule was gehört, als ich Archäologie belegt hatte«, sagte Faith stirnrunzelnd. »Es war das einzige Mal, dass in der Geschichte der Abtei Blut vergossen wurde - wenn man Richard Whiting nicht zählt. Aber Whiting wurde ja auch auf dem Tor hingerichtet, nicht wahr?« Für einen kurzen Moment schien das Mädchen ganz weit weg zu sein, von etwas gefangen genommen, das Winnie nicht sehen konnte; dann blickte sie ihr wieder in die Augen. »Aber ich erinnere mich nicht mehr, weshalb Abt Thurstan die Mönche umbringen ließ.«
»Es war der Choral. Die Mönche hatten sich geweigert, ihren heiligen Gesang aufzugeben. Wir glauben -«
Sie wurde vom Läuten der Glöckchen unterbrochen, die an der Eingangstür des Cafés befestigt waren. Faith war so verblüfft, dass sie ihren Tee überschwappen ließ. Garnet Todd stand in der Tür, in einen langen Umhang gehüllt.
»Hallo, Winnie«, sagte sie freundlich lächelnd, doch dann schien es Winnie, als falle ein Schatten über ihr Gesicht. Sie trat ein und schritt mit wehendem Cape über den feuchten Steinboden hinweg auf sie zu. Auch sie sah abgespannt und müde aus. Was in aller Welt ging hier vor?
»Ich habe Faith gerade erzählt, dass wir euch beide vermisst haben.« Winnie suchte ihre Besorgnis zu verbergen. »Warum kommt ihr nicht mit mir zu Jack? Es wird ohnehin Zeit, dass ihr uns wieder mal besucht, und wir könnten zusammen auf Jack warten.«
»Ich -« Garnet schien zu zögern, dann schüttelte sie den Kopf. »Ich wünschte, wir könnten kommen,
Weitere Kostenlose Bücher