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07 Von fremder Hand

07 Von fremder Hand

Titel: 07 Von fremder Hand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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und doch erhebt es das kleine, begrenzte Ich zu dem Bewusstsein einer Möglichkeit, der erhabenen und wunderbaren Möglichkeit einer Verbindung mit etwas, das größer ist als dieses Ich und dennoch ihm verwandt; und zu der Würde einer mystischen Gemeinschaft, in der alle Isolation ein Ende hat, in der Vergangenheit und Gegenwart als Teile eines lebendigen Ganzen gelten; als Punkte auf einem Kreis, dessen Radius das Leben jenseits dieser Begrenzungen darstellt.
     
    Frederick Bligh Bond, aus: Das Tor der Erinnerung
     
    Allmählich veränderte die Musik ihren Charakter, die frohlockende Melodie wurde schwächer, verhallte, und an ihre Stelle trat ein Klagegesang. Fiona empfand ein überwältigendes Gefühl der Trauer: Trauer um etwas, das zu Ende gegangen war, das verloren war - etwas so Kostbares, dass es die menschliche Vorstellungskraft überstieg... doch mehr als das wusste Fiona nicht zu sagen.
      Zum Schluss fühlte sie nur eine große Leere in ihrem Kopf, und hinter dem Glas war nichts zu sehen als Dunkelheit und die schwachen Lichter der Stadt jenseits des Tales. Erschöpft legte sie den Pinsel hin. Sie hatte keine Vorstellung, wie spät es war - sie hatte in ihrem Atelier keine Uhr -, doch der Krampf in ihrer Hand und die Schmerzen in ihrem Rücken verrieten ihr, dass sie mehrere Stunden lang gemalt hatte.
      Sie trat zurück und betrachtete die Leinwand. Sie selbst hatte die Wesen, die sie heimsuchten, nie benannt, doch die Kritiker bezeichneten sie als Kobolde, Geister oder manchmal auch Engel. Heute Abend hatte sie die Kreaturen zu ihrer Überraschung in einen Rahmen aus einer grünen Rasenfläche und verfallenen Steinmauern gesetzt - es waren eindeutig die Tore der Abtei -, und zum ersten Mal schienen die Geister das inzwischen wohl bekannte kleine Mädchen in ihrer Mitte zu beschützen.
      Es war natürlich alles nur angedeutet. Sie würde es morgen vollenden, falls keine weiteren Visionen kämen. Jetzt brauchte sie Ruhe; zuerst jedoch einen Spaziergang, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.
      Das Haus war still, es atmete ruhig in seinem mitternächtlichen Rhythmus, und als sie einen vorsichtigen Blick ins Schlafzimmer warf, sah sie Brams zusammengerollte Gestalt unter der Bettdecke.
      Sie schnappte sich einen alten Parka vom Garderobenhaken und ging durch die Vordertür nach draußen, wo sie einen Moment stehen blieb und die frostige Luft einsog. Zu ihrer Linken lag die Senke von Wiek Hollow; zur Rechten gab die Bul-warks Lane den Blick auf Bushy Coombe frei. Sie schlängelte sich durch den Garten und wandte sich dann nach rechts, und als sie das Haus hinter sich gelassen hatte, konnte sie durch eine Lücke im Laubdach die Sterne erblicken.
      Sie ging weiter und bemerkte plötzlich, dass sich im Unterholz etwas regte, heftiger und geräuschvoller als das übliche nächtliche Geraschel von Dachsen und Kaninchen. Fiona hielt inne und lauschte; sie fragte sich, was die Waldbewohner in einer so stillen und schönen Nacht wohl aus der Ruhe bringen mochte. »Was ist da los?«, flüsterte sie, doch es kam keine Antwort. Mit einem beklommenen Gefühl setzte sie ihren Spaziergang fort, nun wachsamer als zuvor.
      Als ein leichter Windstoß über die Straße fegte und ein Stück Abfall aufwirbelte, fuhr sie zusammen, dann schalt sie sich für ihre Schreckhaftigkeit. Es war bloß eine Plastiktüte vom Supermarkt, und während sie noch hinschaute, wurde die Tüte wieder ein Stück weiter geweht und blieb an einem größeren Gegenstand hängen, der auf der Straße lag, etwas dunklem, vielleicht einem abgebrochenen Ast; daneben lag ein längerer, massiver Gegenstand. Sie trat näher und sah, dass der massivere Gegenstand merkwürdig menschenähnlich war. Wieder eine optische Täuschung, sagte sie sich. Sie verlangsamte ihren Schritt und blieb schließlich neben dem Gegenstand stehen.
      Erst als sie sich hingekniet und den Gegenstand angefasst hatte, konnte sie glauben, dass das, was sie sah, wirklich war. Es war eine Frau, und ihr nach oben gewandtes Gesicht schien wie ein blasser Fleck in der Dunkelheit. Neben ihr lag nicht etwa ein Ast, sondern ein umgefallenes Fahrrad. Fiona nahm ihre kleine Taschenlampe aus der Jacke, und als das Licht auf das Gesicht der Frau fiel, stieß sie einen erstickten Schrei aus.
     
    Jack trat durch die Tür der Intensivstation und blieb schon nach zwei Schritten stehen, erschüttert vom Anblick der Maschinen und Schläuche, in deren Mitte Winnies schmächtige,

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