07 Von fremder Hand
jemand mithören könnte. Dann schmiegte sie ihr Gesicht an seine Brust und flüsterte: »Die Alten. Aber eigentlich wollten sie mich.«
* 10
... für den großen Geist, die Quelle des Lebens, müssen alle Dinge, im Raum wie in der Zeit, stets präsent sein... eine einmal begonnene Handlung dauert immer fort... so ist die Vergangenheit immer gegenwärtig, obgleich unsere gewöhnlichen Sinne zum Zwecke der Anpassung an dieses irdische Leben so eingerichtet sind, dass sie für diese Phänomene nicht empfänglich sind.
Catherine Crowe, aus: Die Nachtseite der Natur
Unter einem bleifarbenen Himmel legten sie Kilometer um Kilometer zurück. Nachdem sie Reading hinter sich gelassen hatten, wurde der Verkehr auf der M4 schwächer, und Gemma konnte sich so weit entspannen, dass ihr das Fahren sogar Spaß machte. Kincaid war auf dem Beifahrersitz eingenickt, den Kopf an die Kopfstütze gelehnt. Sie waren vor sieben in London losgefahren in der Hoffnung, dem Höhepunkt des morgendlichen Berufsverkehrs zu entgehen.
Er hatte sie am Nachmittag zuvor angerufen und sie zu einem verlängerten Wochenende in Glastonbury eingeladen. Ihre erste Reaktion war ein kategorisches Nein; es hatte sich einfach zu viel Arbeit auf ihrem Schreibtisch angestaut. Kincaid blieb geduldig und erinnerte sie daran, dass sie befugt war, Aufgaben zu delegieren, und dass sie seit Beginn ihres neuen Jobs kein komplettes Wochenende mehr freigenommen hatte.
Innerlich vor Wut kochend, hatte sie eine dringende Besprechung vorgeschoben und den Hörer aufgelegt. Doch hinterher, während der kurzen Ruheperiode nach der Mittagspause, saß sie an ihrem Schreibtisch und fragte sich, ob Kincaid nicht Recht hatte. Als sie gerade frisch befördert war, hatte er sie gewarnt, die größte Gefahr für Leute in Führungspositionen bestehe darin, sich für unersetzlich zu halten. War sie, ohne es zu ahnen, dieser Täuschung erlegen? Sie hatte ein fähiges Team, und obwohl es diverse unaufgeklärte Fälle gab - eine Serie kleinerer Einbrüche in der Portobello Road, einen Vergewaltiger, der sich als guter Samariter ausgab -, war nichts darunter, womit ihre Kollegen nicht für einige Tage allein fertig geworden wären.
Und während sie in den Becher mit kaltem Kaffee starrte, der ihr ganzes Mittagessen darstellte, musste sie sich eingestehen, dass sie erschöpft war. In letzter Zeit hatte sie weder richtig gegessen noch geschlafen. Vielleicht würde ihr ein Wochenendausflug helfen, wieder auf den Damm zu kommen.
Sie hatte Kincaid zurückgerufen und seinen Vorschlag angenommen. Und bevor er antworten konnte, hatte sie hinzugefügt: »Aber ich fahre. Wenn du glaubst, ich tue mir die lange Fahrt nach Somerset in deiner ollen Klapperkiste an, dann hast du dich getäuscht.«
Jetzt, als sie sich nach ihm umdrehte, wie er vollkommen entspannt auf dem Sitz neben ihr saß, wurde ihr bewusst, dass ihr Arbeitseifer in den vergangenen Wochen vielleicht nicht nur reine Pflichterfüllung gewesen war - sie hatte es auch vermieden, Zeit mit Duncan zu verbringen.
Was war sie doch für ein Feigling! Um ihren Verdacht zu bestätigen, musste sie nur in die nächste Apotheke gehen und sich einen Test besorgen. Aber dann würde sie sich mit den Alternativen auseinander setzen müssen - und mit Kincaids Reaktion, falls sie sich entscheiden sollte, das Kind auszutragen.
Würde er erfreut sein? Entsetzt? Es war ihnen zwar gelungen, den Riss zu glätten, der durch ihren Weggang von Scotland Yard entstanden war, doch sie wusste, dass die Wunde noch nicht ausgeheilt war. Unter der Oberfläche schwärte sie weiter, und ihre Beziehung stand seither auf schwankendem Boden. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass er gerade erst begonnen hatte, sich auf einen zwölfjährigen Sohn einzustellen, der plötzlich in sein Leben getreten war. Wie würde er damit umgehen, wenn er plötzlich auch noch sie und Toby und obendrein noch ein ungeborenes Baby am Hals hätte? Es war ja nicht so, als könne sie nicht allein zurechtkommen, das hatte sie bereits bewiesen, aber im Augenblick war ihr der bloße Gedanke daran schon zu viel.
O Gott, wie hatte sie nur so unvorsichtig sein können, gerade jetzt, wo in ihrem Job so viel auf dem Spiel stand? Sie war an einem Punkt in ihrer Karriere angelangt, wo sie nichts weniger gebrauchen konnte als einen Mutterschaftsurlaub. Und wie würden ihre neuen Vorgesetzten auf einen schwangeren und unverheirateten Detective
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