07 Von fremder Hand
schwarzen Gummistiefeln steckten. Bekleidet war sie mit einem wollenen Cape, das zur Seite gerutscht war und den Blick auf einen bunt gemusterten Rock freigab. Ihr Zopf hatte sich gelöst, und das dichte schwarze Haar bedeckte ihr Gesicht wie ein Vorhang.
Kincaid ließ sich von einem der Beamten ein Paar Handschuhe geben und stieg vorsichtig in den Lieferwagen, um sich die Leiche genauer ansehen zu können. Die Totenflecke waren schon recht ausgeprägt, was darauf schließen ließ, dass sie schon einige Stunden tot war, und als er ihr Augenlid hob, sah er die roten Punkte auf der Lederhaut, die auf Erstickung hindeuteten. Allerdings wies ihr Hals keine erkennbaren Blutergüsse auf.
Mit der Fingerkuppe strich er ihr das dichte Haar aus dem Gesicht. Sie hatte lange Ohrgehänge getragen: das linke fehlte.
Garnet Todds exzentrische Art hatte sich nicht auf Kleidung und Schmuck beschränkt; das war jedenfalls der Tenor des kurzen Berichts, den Jack ihm geliefert hatte. Kincaid musste daran denken, als er aus dem Lieferwagen hinaus in die willkommene frische Luft kletterte. Aber welchen Grund hatte die Frau irgendjemand geliefert, sie zu ermorden? Wenn sie es gewesen war, die Winnie Catesby angefahren hatte - was dieses Mädchen, Faith, vermutete -, dann ergab ihr Tod noch weniger Sinn.
Greely hatte nicht viel aus dem Mädchen herausbekommen, nachdem er seinen Verdacht geäußert hatte, dass Garnet Todd ermordet worden sei. Sie fing an zu weinen - kein wildes Schluchzen, das einem vielleicht die Möglichkeit gelassen hätte, sie zu trösten, sondern langsame, verzweifelte Tränen, die ohne Unterlass über ihr Gesicht strömten. Dann protestierte Jack, und Gemma führte das Mädchen nach oben auf ihr Zimmer.
Gemma hatte sich erboten, bei ihr zu bleiben, damit Jack ins Krankenhaus fahren konnte, und er hatte den Vorschlag dankbar angenommen. Da er wusste, wie sehr es ihr normalerweise zuwider war, als Händchenhalterin abgestellt zu werden, hatte Kincaid ihr einen fragenden Blick zugeworfen, doch sie beruhigte ihn mit einem Nicken. Steckte da eine bestimmte Absicht dahinter - oder einfach nur Mitgefühl? Vielleicht ein wenig von beidem, dachte er.
Dem Geräusch eines Fahrzeugs, dass den steilen Weg hochgefahren kam, folgte das Knirschen von Reifen auf Schotter, und dann bog ein alter Morris Minor um die Kurve und rollte langsam aus. Ein Mann mit Brille und schütterem Haar, in der Hand eine Arzttasche, stieg aus. Anscheinend war der Polizeiarzt am Tatort eingetroffen.
»Sie haben es offenbar bewusst darauf angelegt, mich beim Mittagessen zu stören, Alf«, sagte er an Stelle einer Begrüßung zu Greely, allerdings in einem freundlichen Ton, der gut zu seinem rosigen Puttengesicht passte.
»Ich habe keinen Zweifel, dass Sie das noch gründlich nachholen werden, Doc«, meinte Greely mit einem viel sagenden Blick auf den Schmerbauch des Arztes, der deutliches Zeugnis von seiner Schwäche für leibliche Genüsse ablegte.
»Das ist leider wahr. Ich muss wirklich mal anfangen, auf meine Linie zu achten - wenn ich doch nur Carole dazu überreden könnte, das Kochen aufzugeben. Was liegt denn an, Alf?«
»Eine Frauenleiche wurde heute früh in ihrem abgeschlossenen Lieferwagen gefunden. Schlüssel fehlen. Wir hatten gehofft, Sie könnten uns ein bisschen mehr sagen. Das hier ist Superintendent Kincaid aus London, er ist zu Besuch hier.« Greelys ironische Betonung des Wortes »Besuch« war unüberhörbar.
Als Kincaid dem Doktor die Hand schüttelte und ihm dabei in die Augen blickte, erkannte er, dass man den Mann ungeachtet seiner fröhlich-koboldhaften Erscheinung nicht unterschätzen durfte.
»Also dann, sehen wir uns die Sache mal an.« Lamb zog seine Jacke aus und reichte sie Greely, dann zog er ein Paar Handschuhe aus der Hosentasche und streifte sie über.
Greely trat zur Seite, und Kincaid schloss sich ihm an, während der Arzt in den Lieferwagen kletterte. »Ist ganz schön auf Draht, der Alte«, meinte Greely. »Aber er wird leicht reizbar, wenn man ihm in die Quere kommt. Nicht dass es mir je sonderlich viel Vergnügen bereitet hätte, bei dem ganzen Herum-gestochere zuzuschauen.«
Sie warteten schweigend, bis der Arzt seine Untersuchung abgeschlossen hatte. Erst jetzt begann Kincaid zu bemerken, wie lebhaft es in der Hecke am Straßenrand zuging, wo die Vögel beständig auf der Suche nach schmackhaften Beeren und Insekten waren, und zugleich fiel ihm
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