070 - Der Galgenbaum im Jenseits
der Leben vernichten wollte, ohne das eigene dabei aufs Spiel zu setzen.
Ich spürte, wie der Knirps zitterte. Wild zuckten die Adern an seinem Hals. Wenn ich ihn losgelassen hätte, wäre er sofort wieder getürmt, deshalb hielt ich ihn weiter fest.
Mr. Silver kam. »Da haben wir den kleinen Heimlichtuer ja.«
»Er hat ungeheure Angst vor mir.«
»Endlich mal jemand«, stänkerte Mr. Silver grinsend. »Überläßt du mir den Gnom?«
Ich stellte den Kleinen auf die Beine und schob ihn in Mr. Silvers Hände. Eine Flucht war unmöglich. Der Ex-Dämon redete beruhigend auf den Knirps ein.
Damit allein hätte auch er keinen Erfolg gehabt, deshalb half er mit Hypnose nach. Der Gnom entspannte sich merklich, wurde ruhig, zitterte nicht mehr.
»Siehst du, vor mir fürchtet er sich nicht«, sagte der Hüne schmunzelnd.
»Wie kommst du darauf, daß sich überhaupt jemand vor dir fürchtet?« gab ich es ihm zurück.
»Gute Retourkutsche«, mußte der Ex-Dämon anerkennen.
»Wie ist dein Name?« fragte ich den Gnom.
»Seysa«, antwortete er sogleich.
Ich nannte ihm meinen und Mr. Silvers Namen und forderte ihn auf, mit uns zu kommen. Er hatte nichts dagegen, konnte nichts dagegen haben, weil Mr. Silver seinen Willen ausgeschaltet hatte.
Wir kehrten mit Seysa zu Parthos und Cinto zurück. Der Shanggin ließ es sich nicht nehmen, den Knirps zu beschnüffeln. Erst danach ließ er von ihm ab.
»Du hast uns beobachtet, Seysa«, sagte ich.
Der Gnom gab es zu.
»Weißt du, in wessen Gebiet du dich befindest?« wollte ich wissen.
»Es ist das Gebiet der Engawas«, kam prompt die Antwort.
»Ist dir bekannt, daß die Engawas Kopfjäger sind?«
»Ja«, sagte Seysa.
»Dennoch treibst du dich hier herum? Möchtest du deinen Kopf verlieren?«
»Nein, und ich wollte das Gebiet auch heute noch verlassen.«
»Wie lange hältst du dich schon hier auf?«
»Seit heute morgen.«
Ich hoffte, daß er uns etwas über die beiden Männer sagen konnte, die wir suchten, und diese Freude konnte er mir tatsächlich machen.
Der Gnom hatte beobachtet, wie die Männer in eine Falle der Engawas getappt waren.
»Einem, dem Blonden, gelang die Flucht. Den Schwarzhaarigen schleppten sie in ihr Kreisdorf, wo er dem Häuptling Daccab vorgeführt wurde. Er hatte einen Edelstein von der Toteninsel bei sich…«, berichtete der Kleine.
»Bilcos Kristallherz«, sagte Parthos heiser. »Wer hat es jetzt?«
»Daccab«, sagte Seysa.
»Und was ist mit dem Gefangenen? Haben ihm die Engawas den Kopf abgeschlagen?« fragte ich.
»Nein. Sie werden ihn hängen. Nicht sehr weit von hier. Am Galgenbaum. So lautet Daccabs Urteil.«
Ich schaute Mr. Silver an. »Weißt du, was wir als nächstes tun müssen?«
»Klar«, brummte der Ex-Dämon. »Wir mischen uns wieder in fremde Angelegenheiten…«
***
Es kam Tom Bellwood vor, als wäre er endlos lange ohnmächtig gewesen, und es fiel ihm nicht leicht, sich zu erinnern. In seinem Kopf ging es drunter und drüber.
Gedankenfetzen schwirrten durch seinen Geist. Er konnte sie nicht festhalten, obwohl er es immer wieder versuchte. Wie lange er tatsächlich ohne Besinnung gewesen war, entzog sich seiner Kenntnis.
Nach den Schmerzen in seinen Gliedmaßen zu schließen, konnte es nicht allzu lange gewesen sein.
Er war… geflohen! Aber er wußte nicht mehr, vor wem.
Doch Sekunden später ging es Schlag auf Schlag. Er erinnerte sich wieder an die heilige Insel und an all das Grauen, das sie dort erlebt hatten.
Und bei der Rückkehr von der Toteninsel waren er und Jesse Higgins von diesen grauhäutigen Wesen erwartet und gefangengenommen worden.
Und nur ihm war es geglückt, zu entkommen!
Jesse hatten sie erwischt!
Jesse… Er konnte, durfte den Freund und Kollegen nicht im Stich lassen. Er war geflohen, als ihm die Panik im Nacken saß, doch nun wußte er, daß es seine Pflicht, war, Jesse Higgins entweder aus der Klemme zu helfen oder mit ihm zu sterben.
Er erhob sich. Es wäre ihm unmöglich gewesen, auch nur einen Schritt ohne den Freund weiterzugehen.
Obwohl ihm klar war, was er riskierte, machte Tom Bellwood kehrt. Jesse hatte ein Recht auf seine Hilfe. Es war für ihn undenkbar, daß er sie verweigerte.
Ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Brust. Den Weg zurück fand er leicht. Er fand auch die Stelle, wo sie überfallen worden waren, und es fiel ihm nicht schwer, den Spuren der Grauhäutigen zu folgen.
Als er bei ihrem Kreisdorf anlangte, bekam er noch mit, wie Pa-nna und seine Leute Jesse
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