070 - Der Galgenbaum im Jenseits
Higgins abführten.
Jesse sah zum Erbarmen aus. Bei seinem Anblick krampfte sich Bellwoods Herz zusammen. Sein Freund schien mit seinem Leben abgeschlossen zu haben. Er sträubte sich nicht. Die Grauhäutigen konnten mit ihm tun, was sie wollten. Er hatte nicht mehr die Kraft, Widerstand zu leisten.
Tom Bellwood verbarg sich hinter Büschen und Bäumen. Daccab, der Häuptling, hob den Edelstein, den Pa-nna Jesse Higgins abgenommen hatte, gegen das Sonnenlicht, schloß dann seine Hand darum und verschwand in der größten Buckelhütte.
Bellwood brauchte eine Waffe. Er kroch auf allen vieren durch das Unterholz und versuchte, nicht das geringste Geräusch zu verursachen, denn wenn die Grauhäutigen auch ihn erwischten, gab es für seinen Freund und ihn keine Rettung mehr.
Er drückte große dunkelgrüne Blätter auseinander, und im gleichen Augenblick traf ihn ein heftiger Schock. Unzählige Stangen steckten vor ihm im Boden. Und auf den Stangen… Köpfe!
Großer Gott! durchfuhr es den Parapsychologen. Das sind Kopfjäger!
Hinter einer der Hütten blinkte ihm Metall entgegen. Er kniff die Augen zusammen und erkannte, daß es sich um ein eigenwillig geformtes Beil handelte.
Die Angst ließ sein Herz rasen. Dennoch ging er von seinem Entschluß, sich das Beil zu holen, nicht ab. Lautlos pirschte er sich an die Hütte heran.
Schweiß tropfte von seiner Stirn. Er zwang sich, die Köpfe nicht anzusehen. Zu grauenvoll war ihr Anblick. Wenn er daran dachte, daß sein Kopf auch auf so einer Stange… Ihm wurde ganz schlecht dabei.
In der Hütte redete jemand. Vermutlich der Mann, dem das Beil gehörte. Tom Bellwood zögerte einen Augenblick, aber dann setzte er seinen Weg fort.
Er kroch hinter die Hütte. Die Angst ließ seine Nerven fast zerreißen. Ergriff nach dem Stiel der Waffe und zog sie mit sich in das Unterholz.
Dabei schaute er sich immerzu gespannt um. Nur nicht entdeckt werden… Die Blätter schlossen sich, das Unterholz nahm den Wissenschaftler auf.
Er kroch immer noch auf allen vieren, hatte nicht den Mut, sich aufzurichten. Er brauchte nur daran zu denken, was die Grauhäutigen mit ihren Feinden machten, und schon hatte er einen ganz merkwürdigen Schmerz im Hals.
Bis an sein Lebensende würde er dieses Abenteuer nicht vergessen, das stand fest. Soviel Schreckliches konnte man in so kurzer Zeit nur auf Coor erleben.
Er wischte sich mit dem Ärmel seines Khakihemds den Schweiß ab, entfernte sich kriechend etwa zweihundert Meter vom Urwaldkral und wagte sich dann erst aufzurichten.
Verdammt viele Grauhäutige hatten Jesse Higgins fortgebracht. Bellwood fragte sich, wie er mit so vielen Gegnern fertigwerden konnte.
Einmal hatte er Glück gehabt. Aber würde er ihnen noch einmal entkommen? Und auch noch mit Jesse? Er mußte es wenigstens versuchen. Er durfte den Freund nicht im Stich lassen. Sein Gewissen hätte ihn in alle Ewigkeit gepeinigt, wenn er sich ohne Jesse abgesetzt hätte.
Er hob das gestohlene Beil und betrachtete die eigenwillige Form des Metalls. Es hatte spitze Ecken und eine sehr scharfe Schneide. Unwillkürlich faßte sich Tom Bellwood an die Kehle. Er schluckte trocken.
Wie viele mochten durch dieses Beil schon ihr Leben verloren haben? Eiskalte Schauer überliefen den Wissenschaftler.
Die Grauhäutigen führten Jesse Higgins aus dem Dschungel. Tom Bellwood hielt vorläufig noch einen großen Sicherheitsabstand, um von ihnen nicht vorzeitig entdeckt zu werden.
Behutsam tastete er sich an den Dschungelrand heran. Zwischen zwei eng beisammenstehenden mangrovenähnlichen Bäumen riskierte er schließlich einen Blick dorthin, wo sich die Grauhäutigen versammelt hatten.
Seine Kopfhaut spannte sich, und er japste vor Schreck nach Luft.
Er sah den Galgenbaum!
Ein mächtiger Urwaldriese mit dicken Stelzenwurzeln, bizarr geformt. Ein dürrer, spitz zulaufender Ast wies wie ein Armstumpf in Richtung Toteninsel.
Für Tom Bellwood schien das zu heißen: Weil du dort drüben warst, mußt du sterben, Jesse Higgins.
Er sah seinen Freund. Sie hatten ihm das Hemd völlig heruntergerissen. Sein Oberkörper war nackt.
Jesse stand auf einem dunkelgrauen, fast schwarzen Stein. Man hatte ihm die Hände auf den Rücken gebunden, und die mageren Wesen in den weiten, wallenden Kutten hatten Aufstellung genommen, um dabei zuzusehen, wie es mit dem Verurteilten zu Ende ging.
»Das Seil!« rief Pa-nna.
Jemand rollte es aus, knüpfte eine Schlinge und schleuderte diese hoch. Sie flog über den
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