070 - Neues vom Hexer
Schrei um diese Zeit kein außerordentliches Ereignis. An der Ecke der Straße hatten sich zwei Polizisten getroffen, deren Reviere hier zusammenstießen. Sie rauchten ganz gegen die Dienstvorschrift, und einer drehte sich nach der Richtung um, aus der der Schrei gekommen war.
»Da wird jemand verprügelt«, bemerkte er nur kurz.
Sie warteten auf weitere Schreie, aber die blieben aus. Das war ungewöhnlich. Ein Schreckensruf, dem keine weiteren folgten, hatte meistens keine gute Bedeutung.
Die beiden Polizisten gingen langsam die Straße entlang. Sie sahen ein offenes Fenster, aus dem jemand herausschaute.
»Im nächsten Haus«, sagte der Mann. »Das ist das erstemal, daß man etwas von den beiden Leuten hört, seitdem sie hier sind. Warten Sie einen Augenblick, ich komme gleich hinunter.«
Die Beamten waren an derartige Mitteilungen von Seiten der Hausbewohner gewöhnt. Gleich darauf kam der Mann heraus. Er hatte inzwischen einen Mantel angezogen.
»Im Nebenhaus wohnt ein Mann mit einer Frau zusammen. Sie sind erst vorigen Monat eingezogen. Nur meine Frau hat es gesehen. Sie brachten ihre Möbel eines Abends her, als es regnete. Aber bis jetzt hat man weiter noch nichts von ihnen gehört.«
Einer der Polizisten betrachtete die Front des Hauses, das zwei Stockwerke hatte. Ein großer Mann mit einer Angelrute hätte die Dachrinne erreichen können. Oben waren zwei Fenster und unten eine Tür und ein Fenster.
»Ja, aber wir können den Leuten doch nichts anhaben, weil sie nicht aus ihrem Haus herauskommen«, meinte er nachdenklich.
Der Nachbar mußte ihm recht geben. Er wäre auch wahrscheinlich wieder zu Bett gegangen, und die Polizisten hätten weitergeraucht, wenn der zweite Beamte nicht in diesem Augenblick im oberen Fenster Licht bemerkt hätte. Es flackerte hin und her, war bald heller, bald dunkler.
»In dem Zimmer brennt es«, sagte er, nahm seinen Gummiknüppel von der Seite und hämmerte damit gegen die Haustür.
Die Straße wurde bald lebendig. Eine Türfüllung brach ein. Als der Polizist durchfaßte und aufschloß, schlug ihm eine Rauchwolke entgegen.
»Sieh zu, daß die Leute aus den Nachbarhäusern geweckt werden«, rief er seinem Kollegen zu. »Sie, junge Frau, laufen Sie mal schnell und alarmieren Sie die Feuerwehr!«
Er selbst ging in das Haus, tastete sich die Treppe hinauf und stieß die Tür zum Vorderzimmer auf. Die Hitze der Flammen trieb ihn erst zurück, aber als er eine Frau in dem brennenden Bett liegen sah, nahm er alle Kraft zusammen, und es gelang ihm, sie aus dem Raum zu ziehen.
Es war eine fast übermenschliche Anstrengung, sie die Treppe hinunterzutragen, denn der Rauch erstickte ihn beinahe. Als er ins Freie wankte, rasten gerade die Wagen der Feuerwehr heran. Ein Krankenauto folgte einige Minuten später und brachte die Frau zum nächsten Krankenhaus. Sie lebte noch, trotz einer schrecklichen Schnittwunde in der Seite, aber kurz nach der Einlieferung ins Krankenhaus starb sie. Sie war noch jung und sehr schön.
Der Polizist telefonierte an seinen Vorgesetzten, und Inspektor Mander berichtete Bliss am nächsten Morgen.
»Es ist ein ganz gewöhnlicher Fall. Ein gewisser Brown hat seine Frau erstochen, und während des Streites muß die Lampe umgestürzt sein. Brown ist noch nicht verhaftet worden, aber wir haben seine Personalbeschreibung überall zirkulieren lassen.«
Bliss hatte bereits die Meldung des Polizeiinspektors gelesen, in dessen Revier sich das Unglück zugetragen hatte.
»Es weiß niemand, ob der Mann Brown heißt, es hat ihn niemand gesehen, und der Fußboden war mit Petroleum getränkt. Abgesehen von diesen Tatsachen stimmt Ihr Bericht ja einigermaßen. Es ist besser, daß Inspektor Lindon den Fall bearbeitet. Er gehört ja sowieso zu seinem Bezirk.«
Den ganzen Tag suchten Detektive und Feuerwehrleute unter den rauchenden Trümmern nach dem vermißten Mann. Aber der hielt sich ganz woanders auf und ließ es sich gutgehen.
Dr. Lutteur saß in seinem Arbeitszimmer, rauchte und las in einem großen medizinischen Werk. Nach einer Weile schloß er das Buch, stellte es in ein Regal und nahm einen Bogen Aktenpapier aus einer Schublade. Er las das Schreiben durch und klingelte. Kurz darauf erschien eine Pflegerin.
»Ach, Schwester, Miss Timms läßt mir keine Ruhe mehr. Sie will ein neues Testament machen.«
»Sie hat doch erst vor einem Monat ihren Letzten Willen aufgesetzt? Hat sie nicht ihr ganzes Geld einer gewissen Mrs. Hackitt vermacht?«
Er nickte.
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