070 - Schreie des Grauens
sich.
„Verflucht! Jetzt wird's dramatisch."
Er schnappte sich eine Flasche, trank einen gewaltigen Schluck und lief schnell und leise zur Tür. Mit seinem Nachschlüssel kam er jederzeit wieder in die Wohnung zurück. Er zog die Tür ins Schloß und versuchte, die Stufen ohne lautes Knarren hinunterzulaufen. Als er seinen Kopf vorsichtig aus der Haustür steckte, sah er Mata. Sie war etwa fünfzig Meter entfernt und bog gerade um die Ecke der nächsten Querstraße.
„Kommissar Hunter macht sich an die Verfolgung", brummte er ohne eine Spur von Humor und rannte bis zur Ecke.
Er hatte keine Mühe, Mata zu entdecken; ihr gelber Rock leuchtete durch die Nacht. Sie ging mit schnellen Schritten geradeaus, überquerte die nächste Straße und schien ein Ziel zu haben. Unbemerkt folgte ihr Dorian. Genau siebenundzwanzig Minuten lang hastete er hinterher. Schließlich läutete Mata an der Tür eines umgebauten und modernisierten Jugendstilhauses direkt am Eisbach, der Grenze Schwabings zum Englischen Garten.
Dorian steckte halb in einem Busch, halb hing er halsbrecherisch an einem Eisenzaun. Er versuchte zu sehen, auf welchen Knopf der Finger seiner schönen, leidenschaftlichen und rätselhaften Freundin drückte.
Erdgeschoß? Auf alle Fälle auf der linken Seite des Klingelschildes.
Die Tür öffnete sich. Mata verschwand im Korridor, dessen Beleuchtung augenblicklich aufflammte.
Dorian sprang zurück auf den Fußgängerweg und lief los.
Wen besuchte Mata hier um diese Zeit? Er tippte auf die rätselhafte Freundin. Einige Sekunden später war er vor der Tür und las die Namen auf den sieben Schildern.
I. Cayn. M. Müller. Ges f. Marktforschung. Sondler. E. B. Freise. Hausmeister. Und: A. H.
A konnte für Alceste stehen. Nach dem Schild zu urteilen, wohnten Cayn und A. H. im Erdgeschoß. Dorian orientierte sich, suchte sich eine Stelle an der Mauer und kletterte in einen gepflegten Garten. Ein weißer, aber verrosteter Sportwagen stand da, ein Rasenmäher und eine alte Lampe. Der Eisbach rauschte und plätscherte. Einige halbzahme Wildenten schnarrten im Schlaf. Dorian stellte fest, daß es nur in einer Wohnung beleuchtete Fenster gab.
Diese Wohnung hatte einen Balkon, mehr eine Terrasse, die sich über das Wasser des Baches schob. Er ertastete, als er Matas aufgeregte Stimme hörte, einen Sims dicht über den glucksenden Wellen und turnte bis unmittelbar unter die Terrasse.
Dann hörte er zwei Stimmen. Er erkannte die eine: Mata. Und er kannte die andere.
„Du mußt mir helfen", sagte Mata, schrill und zu laut vor Aufregung.
„Warum das, meine Freundin?"
Dies war eine Stimme, die nur einem Menschen gehören konnte, der alt war und über fast unmenschliche Erfahrungen verfügte. Eine dämonische Stimme. Hart und kalt, aber dennoch einschmeichelnd.
„Ich sehe keinen Ausweg mehr, Alceste."
Dorian lächelte böse in der Dunkelheit. Hoffentlich hatte Alceste keinen Hund. Er suchte für seine Füße einen sicheren Halt und streckte die Arme aus.
„Wie soll ich das verstehen, nach all dem, was wir zusammen unternommen haben? Ich habe nur deine Wünsche erfüllt, Mata."
Matas bisher unsichtbare Freundin befand sich dort im Zimmer. Es mußte die Frau sein, von der Gregor Anmoser gesagt hatte, daß sie ihr Aussehen veränderte.
Dorian holte, tief Luft und zog sich langsam hoch, bis seine Augen über den Rand der Terrasse blicken konnten.
„Ja, du hast mir geholfen. Aber du hast mir nicht gesagt, was dann passieren würde, Alceste." Alceste war nur von hinten zu sehen. Sie trug ein schwarzes, bodenlanges Kleid, das an den Seiten bis zu den Hüften geschlitzt war.
„Du bist also nicht zufrieden?"
„Du weißt, daß Fred zu einer mordenden Bestie geworden ist. Zwei Tage lang war er normal, dann wurde er zu einem lebenden Leichnam, der mich ans Haus fesselt und mich verfolgt."
Dorian erkannte Mata, die im dunkleren Hintergrund des Raumes stand und bittend und verzweifelt auf Alceste einredete. Starr und in einer unversöhnlichen Haltung stand Alceste da und wandte Dorian ihren nackten Rücken zu. Ein furchtbarer Verdacht ergriff von Dorian Besitz. Seine Schultermuskeln begannen vor Anstrengung zu zittern. Er hielt den Atem an, um sich nicht zu verraten, dann ließ er sich die dreißig Zentimeter herunter, bis er wieder auf dem Sims stand.
Wenn jetzt dort drüben auf dem Uferweg jemand vorbeiging und zufällig herübersah, würde er Dorian deutlich sehen.
Noch ein paar Sekunden, dachte der
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