0700 - Para-Hölle Spiegelwelt
geringsten Unterschied erkennen. Möglicherweise waren sogar Fingerabdrücke, Netzhautmuster und Gehirnstrommuster identisch!
Unwillkürlich versuchte sie, ihre bewusstlose Doppelgängerin telepathisch zu sondieren. Aber, wie sie fast schon erwartet hatte, kam sie nicht durch. Die andere Nicole verfügte ebenso über eine mentale Sperre wie sie selbst.
Leise schlich sie zur Tür, lauschte.
Draußen war alles ruhig.
Eine Chance!
Nicole handelte schnell.
Sie zog ihre Doppelgängerin aus! Legte deren Kleidung an. Weste, Shorts - einen Slip fand sie nicht, na gut - und die Stiefel. Und - das Amulett!
Dass es das falsche war, daran dachte sie in diesem Moment nicht.
Die Pistole verschwand im Clipholster, aber ungesichert, um ständig schussbereit zu sein. Nach dem, was Nicole hier eben erlebt hatte, war sie bereit, ohne Rücksicht auf Verluste sofort zu schießen!
Sie wollte kein zweites Mal in eine solche Lage kommen und sich ihrem negativen Spiegel-Ich ausgeliefert sehen!
Auch die silberne Halskette nahm sie an sich und hakte das Amulett wie gewohnt ein; ihre eigene war wie die Ohrringe mitsamt ihrer Kleidung verschwunden. Die Doppelgängerin trug keinen weiteren Schmuck. So nackt, wie Nicole in ihrer Zelle gelegen hatte, lag jetzt auch das Spiegel-Ich da.
Die echte Nicole atmete tief durch.
Dann griff sie nach der Türklinke. Drückte sie nieder.
Zog die Tür auf.
Draußen, im erleuchteten Gang, stand Pascal Lafitte.
Der fremde Lafitte.
Er sah sie an, hielt sie in der Lederkleidung für »seine« Nicole Duval. Anscheinend hatte er von dem kurzen Kampf nichts gehört, oder er hatte sich bei den Geräuschen nichts gedacht. Um so besser. Er sah an Nicole vorbei in die Zelle, sah die Nackte dort auf dem Boden liegen.
»Was hast du mit ihr gemacht? Lebt sie noch?«, fragte er.
»Natürlich.«
»Ich hole die Lampe«, sagte er und betrat die Zelle.
Nicole schickte ihn mit einem betäubenden Handkantenschlag ins Reich der Albträume.
Dann sah sie, dass der Schlüssel draußen steckte.
Tür zu, Schlüssel mehrmals herumdrehen! Was bei normalen Türen nur zweimal ging, funktionierte bei den Türen im Château drei- bis viermal, je nach Ausführung des Schlosses. Und die Türen waren massives Holz. Da kam keiner so einfach 'raus.
Auf dem Korridor sah Nicole sich um.
Sie war hier untergebracht worden, in einem der Seitentrakte in einem in der Wirklichkeit unbenutzten Bereich. Warum sollte Zamorra nicht hinter einer der anderen Türen stecken?
Nacheinander öffnete sie jede Tür, bis sie die fand, die abgeschlossen war.
Sie entriegelte sie.
Dahinter befand sich Zamorra…
***
Zamorra genoss es, die Kurven der zum Château führenden Serpentinenstraße mit Schwung zu nehmen. Die 575 PS des 6-Liter-Zwölfzylindermotors machten die Bewältigung der Steigung zum Spaziergang, die superbreiten Reifen des Lamborghini Diablo hielten den Sportwagen sicher auf dem Asphalt. Nach jeder Kurve ein leichtes Streicheln des Gaspedals, und der Wagen schoss mit einem aberwitzigen Spurt wieder bergan, wo selbst andere durchaus gut motorisierte Fahrzeuge Probleme bekamen.
Oft bedauerte Zamorra, dass er diesen Wagen auf den europäischen Autobahnen kaum einmal richtig ausfahren konnte; in Frankreich wurde das Einhalten der Höchstgeschwindigkeit oft über die Mautstellen kontrolliert, und wo im benachbarten Deutschland das Tempo freigegeben war, gab es garantiert Baustellen oder Staus. Die Alemannen brauchten keine Geschwindigkeitsbegrenzungen auf ihren Fernstraßen; sie bremsten sich anderweitig selbst aus.
»Narren«, murmelte der Magier.
Erst auf dem letzten Straßenstück vor der Zugbrücke ließ er den Diablo langsamer werden und lenkte ihn vorsichtig über die Holzplanken in den Innenhof. Licht aus, Motor aus, Fahrertür hochschwingen lassen und 'raus aus dem Flachmann.
Vergnügt pfiff er eine Melodie vor sich hin, sah zum bewölkten Himmel hinauf und grinste spöttisch, weil er wusste, dass eine Regenfront nahte, nur um Château Montagne würde die einen Bogen machen. Er brauchte nur den entsprechenden Zauber zu wirken. Das war einfach. Er schaffte so was manchmal sogar ohne das Amulett.
Nachdem er das Pfäfflein verwurzelt hatte, war er noch nach Feurs gefahren. Da gab's ein Mädchen, das unheimlich scharf auf ihn war. Macht macht sexy, dachte er schmunzelnd. Von der Süßen bekam er alles, was er wollte, wenn er sie nur in die Kunst der Magie einweihte. Das tat er wahrhaftig, aber nur sehr wohl dosiert.
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