0701 - Draculas Blutgemach
denn ich hatte mit einem Blick erkannt, daß die Gebeine nicht die Überreste von Tieren waren, sondern Menschen gehörten. Soviel Erfahrung besaß ich mittlerweile. Wer hier sein Leben ausgehaucht hatte, war mir unklar, aber Jahrhunderte konnte es noch nicht hergewesen sein, denn die Knochen waren noch nicht zu Staub zerfallen.
Ich dachte an die Wölfe, die einsame Wanderer überfallen und sie bis auf die Knochen aufgefressen hatten.
Automatisch drehte ich mich um.
Zu sehen war nichts.
Kein Wolf lauerte in meinem Rücken. Es kam mir so vor, als wollten mich die Tiere bewußt in den Pavillon hineingehen lassen, dem ich mich auch mit schleichenden Schritten näherte.
Mein schlechtes Gefühl blieb. Allerdings warnte mich mein Kreuz nicht.
Keine Erwärmung und somit auch kein Zeichen, daß eine fremde Magie in der Nähe lauerte.
Auf der Schwelle blieb ich stehen.
Das Innere des halbzerfallenen Pavillons kam mir vor wie ein düsterer Todeskessel. Etwas Unheimliches strömte er aus. Zwischen den Wänden war es noch düsterer als draußen. Hier schien sich der Atem des Bösen festgefressen zu haben.
Ich ging trotzdem weiter.
Und dann sah ich den Schacht!
Eine Öffnung inmitten des Pavillons. Sogar ziemlich breit. Da konnten mehrere Menschen zugleich hineinspringen. Ich hatte noch nicht richtig in den Schacht hineinschauen können, stellte aber fest, daß er mir trotz allem Unbehagen bereitete.
Ich hatte schon vor mehreren Schächten gestanden, aber selten so gefühlt, wie in diesem Augenblick. Der hier strömte einen muffigen Geruch aus, als hätte man Leichen hineingeworfen. Ich dachte an die bleichen Gebeine hinter mir, und plötzlich kam mir der Gedanke an die Leichen nicht so unwahrscheinlich vor.
Nach zwei weiteren Schritten gelang es mir, in den Schacht hineinzusehen. Mein Herz übersprang einen Schlag, ich ging noch einen Schritt vor, um besser sehen zu können.
Verdammt, da standen die alten Pfähle mit den Spitzen nach oben, und an einigen Seiten hingen noch bleiche Knochenreste, als wären sie dort angeleimt worden.
Was war hier geschehen?
Automatisch glitten meine Gedanken zurück in eine Vergangenheit, mit der ich jedoch nichts zu tun hatte. Sie konzentrierten sich auf die Geschichte, und sie konzentrierten sich dabei auf einen Namen, der die Geschichte dieses Landes mit Blut geschrieben hatte.
Vlad Dracula, den man auch den Pfähler nannte. Nicht nur mein Freund Marek trug diesen Kampfnamen, aber er würde keine Menschen auf angespitzte Holzpfähle setzen, wie es dieser verfluchte Vlad getan hatte.
Ich zitterte vor Wut. Zum erstenmal war ich auf einen Rest dieses Blutgrafen gestoßen. Natürlich brachte ich ihn auch in Verbindung mit der Hexe Assunga und fragte mich, was sie hier zu suchen gehabt hatte? Wollte sie unbedingt auf den Spuren Vlad Draculas wandern? Was hätte das für einen Sinn ergeben, wo ihr eine Unperson wie Will Mallmann doch eigentlich näher gewesen war?
Ich kam da nicht zurecht.
Aber ich merkte die Warnung.
Mein Kreuz strahlte ab.
Und ich stand dicht vor dem Schacht.
Zu dicht!
Der Stoß in den Rücken erwischte mich mit einer grauenhaften Präzision. Ich hörte noch das Lachen, dann kippte ich über die Kante des Schachts hinweg in die Tiefe, wo die tödlichen Holzpfähle des Blutgrafen auf mich warteten…
***
Assunga war wieder in der anderen Zeit. Sie sah den Mann – und spürte die Gefahr!
Noch stand sie in seinem Rücken, flankiert von den beiden Wölfen, die sich herangeschlichen hatten.
Die Luft über ihr war von einem ungewöhnlichen Brummen erfüllt, das sie nicht kannte. Aber es störte sie nicht. Im Gegenteil, es tat ihr sogar gut, denn das Brummen übertönte die anderen Geräusche, so würde der andere sie nicht hören können.
Er ahnte nichts.
Der Mann drehte ihr den Rücken zu.
Über ihre Lippen huschte ein diabolisches Lächeln. Sie wußte genau, was sie zu tun hatte, denn die alte Falle des Vlad Dracula würde auch nach Jahrhunderten noch funktionieren.
Sie ging noch einen Schritt.
Da zuckte der Mann zusammen. Er mußte etwas bemerkt haben, er wollte herumfahren.
Assunga war schneller.
Beide Hände rammte sie in seinen Rücken. Dann lachte sie auf, als er fiel, und danach zog sie sich wieder zurück. Sie zerrte den Mantel enger um sich und dachte an die Zeit, aus der sie gekommen war.
Genau dort mußte sie wieder hin.
Wo sie gestanden hatte, war der Platz wieder leer. Zurück blieben zwei Wölfe, die sich nicht von der Stelle rührten
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