0702 - Das dunkle Ich
verteilst… an die armen Kleidermotten… warte erst mal ab!«, protestierte Möbius. »Wer weiß, ob wir nicht gleich wieder aufbrechen müssen! Und dann brauchen wir die Sachen!«
»Was wir vielleicht wirklich brauchen, haben wir längst nicht mehr«, sagte Ullich düster. »Gorgran.«
Es war der Name seines Schwertes.
Er hatte es schon in einer früheren Inkarnation getragen, als »Gunnar mit den drei Schwertern« in einer archaischen Welt vor Beginn der menschlichen Geschichtsschreibung. Damals war Atlantis im Ozean versunken, und er kämpfte zusammen mit seiner Gefährtin Moniema von Boroque gegen den Schwarzzauberer Amun-Re, ohne ihn wirklich töten zu können. Denn Äonen später war Amun-Re zurückgekehrt…
Irgendwann hatte Michael Ullich das Schwert Gorgran, das durch Stein schneidet, wiedergefunden und einen Hinweis auf seine frühere Identität erhalten. So wie auch Carsten Möbius aus jener vergessenen Ära stammte und wiedergeboren wurde. Damals war er Rostan, der Wissende gewesen.
Gemeinsame Schicksale verbinden, und sie führen auch zueinander..
Drei Schwerter waren nötig gewesen, Amun-Re endgültig zu besiegen. Gorgran, Salonar und Gwaiyur.
Letzteres hatte Zamorra viele Jahre lang besessen.
Auch das schuf Bindungen.
Über das normale Maß der Freundschaft hinaus.
Das dritte Schwert war gerade noch rechtzeitig gefunden worden, kurz bevor Amun-Re zum letzten Mal erwachte.
Und jetzt waren die drei Schwerter verloren.
Amun-Re war tot, aufgesogen von Muurgh, dem Blutgötzen, und die Schwerter, die ihn getötet hatten, blockierten jetzt für alle Zeiten das Tor und die Brücke , die die Namenlosen Alten nutzen wollten, das Universum der Menschen zu erobern und Grauen, Vernichtung und günstigenfalls Tod zu verbreiten. Die versunkene Tempelanlage war zubetoniert worden, niemand kam mehr an die Schwerter heran. Ihr Verlust war der Preis, der für die Sicherheit der Welt vor den Namenlosen Alten bezahlt werden musste.
Ullich hatte ihn nicht gern gezahlt.
Er hatte sich an das Schwert gewöhnt, hatte es früher immer bei sich getragen und es immer geschafft, es irgendwie durch jede Zollkontrolle zu schmuggeln. Und jetzt gab es das seit wenig mehr als einem Jahr alles nicht mehr.
Es war, als hätte sich die ganze Welt radikal verändert.
»Vergiss den Käsesäbel«, flappste Möbius. »Wir…«
»Dann vergiss du deine Firma«, sagte Ullich schroff.
Carsten stutzte.
»Geht es dir immer noch so nahe?«
Sein Freund antwortete nicht.
Statt dessen ergriff der Butler das Wort. »Ich weiß nicht, ob es uns zu-, steht, den Professor auf Schritt und Tritt zu überwachen und sein Tun oder Lassen zu kontrollieren«, sagte er etwas distanziert. »Andererseits befremdet es mich auch, dass er nicht zurückkehrte, zumal die Beisetzung Ihres Herrn Vaters bevorstand, Herr Möbius. Fest steht aber, dass Professor Zamorra und Mademoiselle Nicole Schottland verlassen haben.«
»Wieso?«, hakte Carsten ein.
»Weil sie dort nicht mehr sind. Ich habe das kontrolliert.«
»Ach ja? Drucken die Regenbogenblumen neuerdings Transportprotokolle aus?«, fragte Ullich sarkastisch. »Oder haben sie sich in Unkosten gestürzt und doch das Flugzeug genommen?«
»Mitnichten, mein Herr«, blieb William ruhig. »Sie benutzten die Regenbogenblumen, um nach Schottland zu gelangen, und sie haben sie anschließend auch wieder benützt.«
»Ja, woher wollen Sie das wissen?«, drängte Carsten.
»Das Internat, in dem sie zu tun hatten, befindet sich sehr weit abgelegen in den Highlands. Sie mussten also ein Vehikel benutzen. Dafür bot sich der Rolls-Royce des verstorbenen Sir Bryont Saris an.«
»Ja«, brummte Möbius. Die Regenbogenblumen befanden sich in Spooky Castle, der längst aufgegebenen Burgruine, in der der Saris-Clan früher gelebt haben sollte. Heute war Llewellyn-Castle der Stammsitz - und stand derzeit auch leer, weil der Erbfolger Rhett Saris mit seiner Mutter im Château Montagne wohnte und auch hier in der Nähe zur Schule ging. Eines Tages würde er Llewellyn-Castle vermutlich wieder übernehmen und bewohnen, doch das lag noch in ferner Zukunft.
Nichtsdestoweniger gab es die Verbindung über die Regenbogenblumen, und die Luxuslimousine des Lords, der betagte, abef immer noch unkaputtbare Rolls-Royce Phantom, war in Spooky Castle stationiert worden, damit jemand, der über die Regenbogenblumen dorthin gelangte, sofort mobil war.
Das hatte William überprüft: der Rolls-Royce stand wieder an seinem Platz.
Weitere Kostenlose Bücher