0702 - Das dunkle Ich
Herz schlug langsamer, schwerfälliger. Anfangs hatte es gerast wie wild, um mehr Sauerstoff in die Lungen pumpen zu können, um mehr Adrenalin zu erzeugen. Aber das klappte schon bald nicht mehr. Der große Muskel ermüdete, erschlaffte, gab der Urgewalt nach.
Zamorra ahnte nicht einmal, wie nahe er dem Tod war. Denn er war nicht in der Lage, so weit zu denken.
In diesem Fall half ihm auch die relative Unsterblichkeit nicht, die er durch das Wasser von der Quelle des Lebens erhalten hatte. Dieses Wasser schützte ihn vor Krankheiten und Alterung, hielt ihn frisch und vital, aber gegen Gewalteinwirkung war es machtlos.
»Ich bin Zoraks Kind Zarra«, vernahm er wie durch Watte die Stimme des Schmetterlingskäfermädchens.
Zarra… T'Carra…
Erinnerungen tauchten auf. Corr-Namen begannen mit Zamorra, aber solange ein Corr noch nicht »erwachsen« war, waren andere Kombinationen möglich, die mit einem vorangestellten T anfingen. Wie eben bei T'Carra.
Die T'Carra in Zamorras eigener Welt würde nie mehr Zarra werden können. Ihre Metamorphose zum Schmetterlingsmädchen hatte sie zu weit von den Ursprüngen ihrer Spezies entfernt. Sie war keine Corr mehr, besaß vielleicht nicht einmal mehr alle ihre einstigen angeborenen Corr-Fähigkeiten, was die Magie anging.
Mehr darüber wusste vielleicht Julian Peters, der sich auf dem Silbermond ihrer angenommen hatte.
Julian Peters , durchfuhr Zamorra wieder ein in dieser Situation völlig irrelevanter Gedanke. Er musste daran denken, dass in der Spiegelwelt Rob Tendyke nicht mit den Peters-Zwillinge zusammen war. Das bedeutete mit ziemlicher Sicherheit, dass es in der Spiegelwelt keinen Julian Peters gab! Denn wenn Vater Robert und Mutter Uschi nie zusammengefunden hatten…
Und wenn Julian entweder eine andere Mutter oder einen anderen Vater hatte, war er logischerweise nicht das, was er in der richtigen Welt war!
»Du trägst die Schuld, dass ich wurde, was ich bin«, drangen zwischendurch Zarras Worte in sein Bewusstsein vor. »Deshalb wirst du jetzt sterben. Teilweise.«
Noch ehe er begriff, was sie damit meinte, fühlte er, wie etwas an ihm riss und zerrte. Eine Veränderung ging mit ihm vor. Sein Körper begann abzusterben; das, was Zamorra war, konzentrierte sich mehr und mehr auf seinen Kopf, zog sich aus dem Rest zurück. Und etwas arbeitete an seinem Hals, wurde stärker und kräftiger, presste dagegen…
Entsetzen erfüllte ihn.
Er wurde geköpft!
Aber auf eine Weise, wie er sie sich nie zuvor hatte vorstellen können.
Zarra riss ihm den Kopf nicht einfach ab, sie benutzte kein Messer, kein Beil. Sie verstärkte nur hier die Schwerkraft noch mehr. Zamorras Hals sollte zerquetscht werden. Auf diese Weise würde sie ihm den Kopf vom Rumpf trennen!
Er konnte nicht dagegen ankämpfen. Er war der Überschwerkraft hilflos ausgeliefert.
Nein, so hatte er niemals sterben wollen.
Aber nun musste er es.
Ihm schwanden die Sinne, als der Druck unerträglich wurde und er endgültig nicht mehr atmen konnte.
Es war vorbei.
Professor Zamorra würde es nicht mehr geben - nicht den bisherigen Professor Zamorra. Sondern nur noch den aus der Spiegelwelt.
Er würde nun Herr zweier Welten sein…
***
Zu Hause, auf der Erde:
Butler William holte Carsten Möbius und Michael Ullich mit einem Taxi vom Flughafen ab. Das Taxi brachte sie zu einem Stadtpark, wo ein kurzer Fußmarsch auf sie wartete. In einem versteckten Winkel, in den sich scheinbar nicht einmal die städtischen Gärtner verirrten, wuchsen Regenbogenblumen!
Sie transportierten die drei Menschen direkt ins Château Montagne.
»Sie sagten, dass auch Sie sich Sorgen machen«, begann Möbius.
»Nun, nicht wirkliche Sorgen. Bisher hat der Professor sich immer selbst zu helfen gewusst, wenn er in irgend welche Schwierigkeiten geriet. Aber niemand von uns kann sich erklären, was das diesmal für Schwierigkeiten sein sollen. Der Fall, mit dem er es in Schottland zu tun hatte, diese besessenen Schüler eines exklusiven Internats, dieser Fall ist abgeschlossen. Es war vorbei. Telefonisch hatte der Professor bereits seine und Mademoiselle Nicoles Rückkehr angekündigt.«
»Er hat also angerufen. Und ist nicht gekommen. Und das wurde nicht sofort hinterfragt und geprüft?« Möbius runzelte die Stirn.
Derweil packte Ullich gelassen die Reisetasche seines Freundes aus und verstaute den Inhalt in den Schrankfächern des Gästezimmers. Seine eigenen Sachen standen nebenan.
»He, bevor du alles an die Armen
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