0708 - Verliebt in eine Tote
hat es uns versprochen. Sie hat sich in unseren Träumen gemeldet. Andere sind schon bei ihr. Sie waren an ihrer Stätte, sie haben sich gesehen, sie haben die Endgültigkeit erlebt, und als sie zurückkehrten, stand ihr Entschluß endgültig fest.« Sein Blick verlor sich. »Sie waren so anders, als sie in den Wald gingen, einfach glücklich. Ich glaube, daß sie gesungen haben. Sie gingen durch das Camp, als würden sie den Boden nicht berühren. Wie Engel, die schon mehr in der anderen als in unserer Welt lebten.«
»Sie gingen also gern für Joanna in den Tod?« stellte Suko fest.
»Ja, mit großer Freude. So und nicht anders ist es, und so wird es immer bleiben, auch bei mir.«
»Darf ich das auch?«
Tommy Lis Verhalten änderte sich von einem Augenblick auf den anderen. Er schien sich in sein Schneckenhaus zurückzuziehen, zuckte zusammen und starrte Suko wie einen Feind an.
»Was habe ich denn getan?«
»Du bist unwürdig.«
»Wieso?«
»Du mußt erst Kontakt aufnehmen. Du mußt es schaffen, daß sie in deine Träume eindringt. Erst dann bist du soweit, daß du überhaupt an sie denken kannst. Und du mußt versuchen, sie zu lieben, sonst ist alles aus und umsonst. Nur die große Liebe zwischen dir und ihr kann es bringen, nichts anderes.«
Suko winkte ab. »Ich möchte sie aber…«
»Nein!«
»Ist sie denn hier?«
Tommy Li verdrehte die Augen und schaute dabei gegen die Decke.
»Natürlich ist sie hier. Ja, sie… lauert, sie wartet, sie ist einfach immer um uns.«
»Ich sehe sie nicht.«
Tommy Li lächelte beinahe mitleidig. »Du hast auch keine Beziehung zu ihr, deshalb kannst du sie nicht sehen und auch nicht hören. Selbst spüren wirst du sie nicht können.«
»Aber die Tote ist nicht in ihrem Grab?«
»Nein, das besitzt sie nicht. Sie kann sich frei bewegen. Sie ist eben etwas Besonderes.«
»Wie sieht sie aus?«
»Schön, wunderschön.« Tommy Li geriet ins Schwärmen. »Sie ist die schönste Person, die ich je gesehen habe. Nicht zu vergleichen mit den anderen Frauen. Sie ist ästhetisch schön. Von ihr geht etwas aus, das man nicht beschreiben kann, aber ich werde es heute genau wissen, denn dann bin ich es, der zu ihr gehen wird. Ich werde mich auf den Weg machen, sie treffen und…«
»Dich selbst töten, wie?«
Tommy Li ballte die Hände. »Ja, ich werde den anderen, den neuen Weg gehen.«
»Darf ich bei dir sein?«
Er schnellte hoch, lief auf nackten Füßen geduckt in eine andere Ecke des Raumes und blieb dort stehen. Abwehrend streckte er Suko die Hände entgegen. »Versündige dich nicht an ihr. Was du gesagt hast, darfst du nicht einmal denken.«
»Das paßt mir überhaupt nicht. Zumindest würde ich sie gern einmal sehen.«
»Ja, viele wollen das. Sie können aber nicht über Joanna befehlen, das ist einfach nicht möglich, denn sie…« Er verstummte plötzlich, und sein Blick bekam eine beinahe schon ehrfurchtsvolle Starre, als er in eine bestimmte Richtung schaute.
Er blickte zur Luke hin, und zwar so intensiv, daß es Suko einfach auffallen mußte.
Er drehte sich um.
Und vor der Luke stand eine ätherische Geistergestalt, die sich nicht rührte.
»Joanna!« keuchte Tommy Li und fiel auf die Knie…
***
Gesichter, wohin ich schaute. Männer, Frauen, jung, alt, müde, gleichgültig oder aggressiv wirkend. Gestalten in der U-Bahn. Und ich stand zwischen ihnen, weil ich mich auf eine in bekannte Stimme verlassen hatte, die mir den Rat gab, in Richtung Airport mit der U-Bahn zu fahren.
Angeblich wußte der Anrufer mehr über Suko und über den Grund seines Verschwindens.
Ich hatte mich eben auf diesen Vorschlag einlassen müssen und einen der Wagen betreten, der fast schon überfüllt war.
Wer sich in einem Wagen der Londoner U-Bahn aufhält, erlebt fast zu jeder Tageszeit einen Querschnitt der Bevölkerung dieser Millionenstadt.
Ob dunkel- oder hellhäutig, hier waren alle unter einem Dach, und nicht selten kam es auch zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, die leider oft genug von Jugendlichen provoziert wurden.
Es gab da bestimmte Gangs und auch solche, die sich auf Londoner U-Bahnen spezialisiert hatte. Ich hoffte, verschont zu werden und hatte mich tief in die Ecke neben eine Tür verkrochen, wo ich meinen Gedanken nachhing.
Ich hatte nicht einmal harausgefunden, ob die Stimme des Anrufers einer Frau oder einem Mann gehörte. Sie war neutral und zischend gewesen, aber ich war gespannt darauf, ob mich die unbekannte Person auch finden würde.
In dem
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