0709 - Das Seelenschwert
James.
»Sicher. Aber was bleibt uns dann?«
»Vier Tote!«
Sir James hatte die Antwort gegeben, ohne seine Stimme zu erheben.
Sie war einfach so dahingesagt worden, aber sie traf mich mit der Wucht eines Donnerschlags, obwohl ich noch damit rechnete, mich verhört zu haben. »Wie war das, Sir?«
»Vier Tote!« wiederholte er.
»Wo denn?«
Sir James lehnte sich zurück und rückte seine Brille zurecht. »Ich kann es Ihnen nur so sagen, wie man es mir berichtet hat. Die Toten zählten zu Li Choungs Männern.«
»Und wer hat sie umgebracht?«
Sir James senkte den Blick. Er hatte die Arme mit dem Ellenbogen auf die Schreibtischplatte gestützt, führte seine Hände jetzt zusammen und legte sie übereinander. Ich bekam sogar mit, daß seine Fingerspitzen zitterten, was bei ihm sehr selten war.
Irgend etwas hatte ihn schwer erschüttert.
»Sir…«
»Ja, ja, schon gut, John. Ich wollte Sie durch meine Art nur auf etwas vorbereiten.«
»Man kennt den Mörder?«
»Zumindest der alte Li Choung ist davon überzeugt. Aber wir kennen ihn leider auch, John.«
»Verdammt, wer ist es denn?«
»Suko!«
Sir James hatte den Namen meines Freundes nicht leise und auch nicht laut ausgesprochen, aber in einem derartigen Tonfall, daß er mir unter die Haut ging.
Ich fühlte mich, wie von Messern attackiert, ich bekam eine Gänsehaut, die sich festfraß. In meinem Magen setzte sich ein dicker Klumpen fest, und das Atmen fiel mir schwer.
Dann fragte ich: »Tatsächlich Suko?«
»Ja.«
»Und das weiß Li Choung genau? Er kennt ihn - oder?«
»Sicher, John, das wissen Sie ebensogut wie ich. Wir sollten uns beide da nichts vormachen. Suko erschien in der letzten Nacht, nachdem ich mit Li Choung telefoniert und ihm berichtete, daß wir seinen Sohn gefunden hätten. Er brachte etwas Unmögliches fertig, wenn man Li Choungs Worten Glauben schenken darf. Er konnte das Gelände eines Gartens betreten, das bewacht war, und glauben Sie mir, die Männer dieses Triaden-Bosses sind gut ausgerüstet. Vier Wärter starben, ein fünfter, Li Choungs persönlicher Leibwächter, stellte den Eindringling schließlich. Er kämpfte auch gegen ihn. So wie ich den alten Chinesen verstanden habe, hätte er ihn auch verletzen müssen, aber seine Wurfsterne und sein Messer trafen nicht, obgleich Suko vor ihm stand. Die Waffen waren bei ihm wirkungslos, er reagierte überhaupt nicht auf die Treffer.«
Sir James schwieg, ließ mir Zeit zum Nachdenken. »Das will mir nicht in den Kopf, Sir, das ist Wahnsinn«, sagte ich.
»Leider nein.«
Ich unterstrich meine nächsten Worte mit bestimmten Handbewegungen.
»Und dieser Leibwächter hat ihn tatsächlich mit seinen Waffen erwischt, ohne daß ihm etwas passierte?«
»So ist es.«
»Welchen Grund gab man denn an?«
»Das ist unser Problem. Der Leibwächter war der Meinung, daß er einen Geist vor sich hatte. Aber keinen normalen Geist, sondern eine Gestalt, die mehr ins Dämonische hineingeht. Jemand, der stofflich ist und doch feinstofflich werden kann, wenn Sie verstehen.«
»Nein.«
»Ich auch nicht.« Sir James lehnte sich zurück und atmete tief durch.
»Ich komme nicht mehr damit zurecht, John. Da muß jemand verdammt stark sein, wenn das alles zutrifft, was man uns gesagt hat.«
»Der Teufel.«
»Das ist nicht alles.«
»Nein, Sir. Aber er hat zu einer neuen List gegriffen. Er besitzt das Seelenschwert. Ich hätte Suko doch, in zwei Hälften geschlagen, in dem Sarg finden müssen. Und was sah ich tatsächlich? Der Deckel war hochgeklappt worden, seine Innenseite bestand aus einem Spiegel, in dessen Fläche ich Suko als Kind sah. Nicht als einen normalen Mann, nein, als Kind.«
Mein Chef schwieg. Auch ich wußte nicht mehr, was ich sagen sollte. Wir beide - und ich besonders - waren schon mit vielen schlimmen Dingen konfrontiert worden. Ich hatte Fälle erlebt, bei denen der menschliche Verstand aussetzte, die rational gar nicht mehr zu erfassen waren, aber dieser neue Fall setzte allem bisher Dagewesenen die Krone auf. Das war für uns einfach unerklärlich, und wir waren gezwungen, die Regeln der Hölle zu akzeptieren.
Neben dem Wasserglas stand eine Flasche, die noch halb gefüllt war.
Ich nahm sie an mich und trank einen Schluck. Den mußte ich jetzt einfach haben.
Erst dann konnte ich sprechen und versuchte, die Emotionen zur Seite zu schieben. Ich sprach Sir James auf die kriminalistische Seite des Falls an.
»Gehen wir einmal davon aus, daß Li Choungs Bericht
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