0709 - Das Seelenschwert
Sadre, aber irgendwie werden wir es schon schaffen.«
Der Leibwächter nickte. Für ihn war zwar keine Welt zusammengebrochen, aber er wußte jetzt, daß er sich nicht mehr auf gewisse Dinge verlassen konnte, auf die er einmal sehr stolz gewesen war. Dieses Haus und auch dieser Garten waren keine Burg mehr, kein abgeschirmtes Refugium, zu dem ihren Feinden der Zutritt verwehrt wurde, denn die Gegner hatten andere Mittel und Wege gefunden, um Sperren und Hindernisse zu überwinden.
Noch wußte Sadre nicht, was die andere Seite vorhatte. Er wollte auch nicht fragen und es dem Meister überlassen, mit irgendwelchen Erklärungen herauszukommen.
»Sind sie alle tot?« fragte Li Choung.
»Ich weiß es nicht.«
»Sie haben nichts gesehen - oder?«
»Nein.«
»Wer war es?«
Auf diese Frage hatte Sadre gewartet. Er hätte eigentlich Zeit genug gehabt, sich eine Antwort zurechtzulegen, aber er wußte nicht, was er hätte sagen sollen. Wie würde der alte Mann auf seine Vermutung reagieren, die sich mit einem Wesen beschäftigte, das eine Mischung aus Mensch und Dämon darstellte?
Li Choung gehörte zu den Menschen, die die Welt mit anderen Augen sahen. Er glaubte daran, daß es hinter der sichtbaren noch eine unsichtbare gab, die einen großen Einfluß auf die sichtbare Welt ausübte, dem sich dann kein Mensch entziehen konnte.
Es war für ihn ein Rätsel, das er nicht hatte lösen können. Vielleicht hätte sich der alte Mann mehr mit Mystik beschäftigt, aber die Zeit war ihm nicht geblieben. Er hatte statt dessen kämpfen müssen, um sein Imperium aufzubauen.
»Ich warte auf eine Antwort, Sadre!« Die Stimme klang zwar leise und brüchig, aber es war der Wille aus ihr herauszuhören, endlich etwas zu erfahren.
»Er hat mich besiegt. Er hätte mich töten können. Ich griff ihn an, aber ich traf ihn nicht. Er war sehr gefährlich, er war ein Mensch und trotzdem keiner. Er war eine Mischung aus Mensch und Dämon. Er kam aus dem Nichts wie aus einer anderen Welt. Er schoß hervor, er hat sich mir gestellt…«
»Kein Mensch?«
»Ich glaube es nicht.«
Der alte Mann atmete tief ein.
»Dann haben sich die Tore geöffnet, um uns den Schrecken zu schicken. Dann werden die Götter nicht mehr ihre wachsamen Augen auf uns halten, um uns beobachten zu können. Das wird demnächst alles anders sein, glaube mir.«
Sadre nickte, obwohl er mit den Erklärungen des Alten nicht viel anfangen konnte. »Was haben wir getan, um den Zorn der Götter auf uns zu ziehen?«
Li Choung ließ sich mit der Antwort Zeit. Er wollte sie genau durchdenken. »Wir hätten Tommy Li nicht zurückholen sollen. Er hätte seinen Weg gehen sollen, das ist mir jetzt klargeworden.«
»Aber es war der falsche Weg, Meister!«
»Ja, für dich und für mich. Aber nicht für die Mächte, die Tommy den Weg gezeigt haben. Ich weiß nicht, was der andere, der Unbekannte noch alles vorhat. Er hat sich hineingedrängt. Wir haben ihm Tommy genommen, er wird sich an uns schadlos halten. Wahrscheinlich werden wir alle unter seinen Druck geraten.«
Sadre widersprach nicht. Nicht aus Höflichkeit, sondern weil er davon überzeugt war, daß sein Meister recht behielt. Er war weiser, er sah weiter, er würde es aber nicht mehr regeln können wie früher, sondern der anderen Macht gehorchen müssen.
»Ich möchte, daß du mich ins Haus bringst, Sadre. Und danach wirst du noch einmal in den Garten zurückkehren, um die Wächter zu suchen. Wir haben vier aufgestellt.«
»Stimmt.«
»Und im Keller, vor den Monitoren?«
»Sitzen noch zwei, Meister.«
»Gut.« Er faßte Sadre wieder an und stemmte sich hoch. »Ich möchte jetzt gehen.«
Der Leibwächter blieb an seiner Seite, ungemein wachsam. Seine Blicke glitten in die Runde, noch immer rechnete er mit einem Angriff, und der Garten hatte sich für seinen Geschmack in eine große, düstere Todesfalle verwandelt.
Die Scheibe war noch immer im Boden verschwunden. Vor ihnen lag der breite Eingang, der direkt in das Haus führte, und der alte Mann zögerte, die Schwelle zu überschreiten.
»Soll ich zuvor nachsehen, Meister?«
»Nein«, sagte Li Choung nach einer Weile. »Das ist nicht nötig. Er kann kommen und gehen, wann immer er will. Wir sind von ihm abgelöst worden, es ist nicht mehr unser Refugium. Die Zeiten haben sich geändert, und wir werden uns damit abfinden müssen.«
»Ich verstehe dich, Meister.«
Sadre brachte den alten Mann über die Schwelle. Wie zwei Fremde betraten sie den Arbeitsraum, in
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