0709 - Das Seelenschwert
gesehen hatte.
»Nein, ich kenne es nur von Erzählungen.«
»Okay.« Ich räusperte mich. Wieder überkam mich dasselbe Gefühl wie in der Nähe des Camps. Ich merkte, wie sich mein Adrenalinspiegel veränderte, er schoß in die Höhe, und irgendwie hatte ich das Gefühl, als hätte sich etwas verändert.
Äußerlich nicht, dieses Gefühl besaß eine andere Basis. Mit der Truhe oder dem Sarg stimmte etwas nicht.
Ich hielt den Deckel umklammert.
»Machen Sie schon, John!« flüsterte Sir James.
Ich tat ihm den Gefallen.
Mit einem Ruck hob ich den Truhendeckel an. Ob sich die Kindsgestalt im Spiegel unter dem Deckel zeigte, war für mich uninteressant geworden. Ich sah auch nicht hin, weil mein Blick eben von dem abgelenkt wurde, was sich im Unterteil befand.
Es war Suko, der dort lag und mich böse angrinste.
Und er zielte mit der Beretta auf mich!
***
Ich zuckte zurück. Es war die einzige Chance, die mir blieb. So schnell wie möglich zu sein, und ich hatte dabei unbewußt einen Vorteil erlangt.
Beim Öffnen des Deckels hatte ich mich nicht zu weit vorgebeugt und für Suko keinen sehr günstigen Schußwinkel abgegeben.
Nur deshalb entging ich der Kugel!
Der peitschende Schuß der Beretta hörte sich zwischen diesen vier Wänden überlaut an. Die Echos donnerten auch in Sir James' Ohren, der nicht fassen konnte, was geschehen war, weil er sich zu weit von der Truhe entfernt aufhielt.
»Weg, Sir!« brüllte ich und rollte mich dabei über den Boden. Meine eigene Waffe hatte ich gezogen. Ich wartete darauf, daß Suko den Sarg verließ.
Das Unwahrscheinliche geschah. Er schnellte hoch, denn er wollte es wissen.
Ich lag ziemlich günstig, etwa zwei Yard rechts von der Tür entfernt. Als er hochkam, sah es so aus, als würde ein Kaspar oder eine bewegliche Figur den Sarg verlassen. Seine Bewegungen stimmten nicht, sie wirkten abgehackt, und auch sein Körper kam mir vor wie ein glasiges Etwas. Er hielt die Beretta in der Rechten und konnte sich im ersten Augenblick nicht entscheiden, wen von uns beiden er unter Beschuß nehmen sollte.
Ich feuerte auf ihn!
Ja, ich feuerte auf meinen Freund Suko. Was ich sonst nicht einmal unter Zwang getan hätte, bereitete mir in diesem Fall überhaupt keine Probleme.
Die Kugel traf.
Sie raste in den Körper. Ich setzte eine zweite nach. Sukos Gestalt begann zu tanzen.
Wir hörten einen heulenden Schrei, und in dieses Geräusch hinein schickte ich die dritte Kugel.
Sie stieß ihn über den Truhenrand hinweg auf die andere Seite. Er riß noch die Arme hoch, dann kippte er und war meinen Blicken entschwunden.
Sir James wollte hinlaufen, meine peitschende Stimme aber hielt ihn zurück.
So wartete er ab.
Ich aber mußte mir Suko genauer anschauen. Jeden Augenblick rechnete ich damit, ihn wieder hinter der Truhe hervor hochschnellen zu sehen, doch das geschah nicht Mit beiden Händen, die Arme gestreckt, hielt ich meine Waffe, zielte dann vom schmalen Rand der Truhe her auf Suko und war bereit, ihm den Rest zu geben.
Es war nicht nötig!
Suko »schwamm« vor mir am Boden. Er war zu einem zuckenden Etwas geworden, das über den Boden huschte und eigentlich nur mehr einen Schatten in Menschengröße bildete, wobei genau dort, wo ihn meine drei Kugeln erwischt hatten, kleinere Explosionen stattfanden, die von Lichtblitzen begleitet wurden.
Der Schatten tanzte und wirbelte. Er hatte seine menschlichen Umrisse verloren. Manchmal sah er so aus, als wollte er sich regelrecht in den Boden hineinfressen, was aber nicht geschah. Dieses seltsame Schattenwesen huschte weiter und war auch dabei, sich zu verändern.
Es zog sich zusammen, wurde kleiner.
Wollte es verschwinden?
Ich schaute mit wachsender Spannung hin, hörte hinter mir die Schritte meines Chefs, der schließlich schwer atmend neben mir stehenblieb, ungläubig den Kopf schüttelte und fragte: »Wie ist… wie ist das möglich? Wer hat…?«
»Es ist Suko!« Als ich die Worte aussprach, kannte ich meine eigene Stimme kaum wieder. »Und ich habe ihn vernichtet…« Die letzten Silben versickerten mir im Hals.
Mich packte der Schüttelfrost, denn erst jetzt, wo der Streß des schnellen Kampfes nachließ, wurde mir eigentlich bewußt, was ich da getan hatte.
»John, nehmen Sie Vernunft an.« Wie durch dicke Watte drang die Stimme meines Chefs an meine Ohren.
»Sie haben ihn nicht getötet, wirklich nicht.«
»Brauchen Sie noch mehr Beweise, Sir?«
»Das sind für mich keine Beweise, John. Sie haben eine
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