0709 - Das Seelenschwert
eigentlich nicht Sie, sondern John Sinclair und…«
»Wer ist es?«
»Ein… ein Junge.«
»Kennt er mich?«
»Weiß ich nicht. Er will, zu Mr. Sinclair.«
Glenda runzelte die Stirn. Das paßte ihr überhaupt nicht, denn sie verfolgte andere Pläne. Sie wollte in Ruhe später mit dem Geister Jäger über dessen Probleme reden, aber der Mann vom Empfang ließ ebensowenig locker wie der Junge, und das sagte er Glenda Perkins sehr deutlich.
»Der läßt sich nicht abweisen.«
Glenda stöhnte auf und legte die Stirn in Falten. »Okay«, sagte sie, »dann bringen Sie den jungen Mann mal hoch.«
»Gut, danke, Miß Perkins.«
Die dunkelhaarige Sekretärin sank auf ihren Schreibtischstuhl zurück.
Mit einer Hand fuhr sie durch das dichte Haar und drückte die Flut nach hinten. Sie wußte nicht, was sie mit einem halbwüchsigen Jungen anfangen sollte, und sie konnte sich auch nicht vorstellen, was er von John Sinclair wollte.
Ob das ein Trick war?
Wenn ja, würde ihn Glenda sehr schnell durchschauen. Aber das alles war eigentlich nicht wichtig. Ihre Gedanken drehten sich einzig und allein um die beiden Personen im Keller. Was würden sie dort finden? Welches Geheimnis verbarg die Truhe, die ebenfalls unter sehr geheimnisvollen Umständen ins Haus geschafft worden war?
Es klopfte.
»Come in…« Glenda erhob sich. Gleichzeitig wurde die Tür aufgestoßen.
Tatsächlich trat ein Junge über die Schwelle. Glenda konnte nicht genau sagen, wie alt er war. Sie schätzte ihn auf zwölf Jahre, älter war er auf keinen Fall.
Der Junge trug eine ungewöhnliche Kleidung. Jedenfalls für die Augen von Europäern. Ein Gewand, mehr eine Kutte, die aus gelbem Stoff bestand.
Sein Kopf war kahl geschoren worden, nicht ein Haar wuchs mehr auf der blanken Schädelplatte.
Glenda runzelte die Stirn. Sie konnte sich vorstellen, daß der Junge sich in der Adresse geirrt hatte.
»Das ist er, Miß Perkins.«
»Danke.«
Der Kollege beugte sich zu dem Jungen herab. »So, jetzt hast du deinen Willen. Hier arbeitet John Sinclair.«
Er nickte nur.
Der Mann grüßte noch einmal und zog sich zurück. Leise schloß er die Tür hinter sich.
Glenda rang sich ein Lächeln ab. Sie wußte nicht so recht, was sie mit ihrem Besucher anfangen sollte. Sie schluckte einige Male und erkundigte sich dann, ob sie ihm etwas zu trinken anbieten sollte.
Der Junge schaute sie nur an.
Glenda wiederholte ihren Vorschlag, bekam auch eine Antwort, die sie nicht verstand, und da wurde ihr klar, daß der Junge sie ebenfalls nicht verstanden hatte.
Sie hatten sich in verschiedenen Sprachen angeredet, was Glenda erst jetzt klargeworden war.
»Sorry.« Sie schüttelte den Kopf. »Manchmal schaltet man eben nicht so schnell.«
Der Junge lächelte.
Er blickte Glenda an, sie schaute ihm ins Gesicht. Es war ein gegenseitiges Taxieren, ein Forschen, ein Schauen, ein Prüfen, es war einfach alles.
Allmählich aber begann Glendas Hirn zu arbeiten. Irgendwo kristallisierte sich ein Verdacht hervor. Es war wie ein kleiner Ballon, der immer mehr Luft bekam, aufgepumpt wurde, sich ausbreitete, so daß Gedanken hinzukamen, die sich allmählich zu einem großen Wissen formierten.
Das Wissen entsprach gleichzeitig einer gewissen Erkenntnis, und auf einmal wußte sie es.
Ihr Herz schlug wild, es glich schon einem Trommeln. Sie sah, wie die Gestalt des Jungen für einen Moment vor ihren Augen verschwand, wie sie zu einem Schatten wurde, der sich einmal nach links und dann wieder nach rechts bewegte.
Plötzlich sah sie ihn doppelt, und sie wischte über ihre Augen, um ihn wieder normal sehen zu können.
Himmel, das war…
Sie wollte es nicht glauben, sie atmete heftig, sie fing an zu stöhnen und preßte ihre Hand gegen die Kehle. Es sah so aus, als wollte sie die endgültige Erkenntnis unterdrücken.
Langsam ging sie zurück. Ihre Knie gaben von allein nach. Zum Glück befand sich der Schreibtisch in der Nähe, auf den sie sich fallen lassen konnte.
Dort hockte sie dann.
Vor ihr stand der Junge und schaute sie an. Ihre Gesichter befanden sich ungefähr in einer Höhe, die Blicke bohrten sich ineinander, ein jeder wollte von dem anderen mehr wissen.
Eine kalte Haut strich über ihren Rücken. Schatten tanzten vor ihren Augen.
Sie holte tief Luft und gab sich dabei den Befehl, nicht so emotional zu reagieren. Sie mußte sich einfach zusammenreißen. Sie mußte jetzt einen klaren Kopf bewahren, sie mußte auch wissen, ob der Verdacht stimmte, der in ihr
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