0709 - Das Seelenschwert
Und im selben Augenblick sah Tommy Li vier Tote!
Sie lagen aufgereiht nebeneinander, wie ein schauriges, makabres Stilleben, und der junge Mann spürte den mächtigen Druck einer unsichtbaren Faust in seinem Magen.
Er würgte, aber er tat es lautlos und konnte seinen Ekel wieder schlucken.
»Komm her, Tommy!« Sadre winkte ihm mit dem linken Zeigefinger.
Tommy wußte genau, daß es keinen Sinn hatte, sich gegen die Aufforderung des Mannes zu stellen. Mit schlurfenden Schritten bewegte er sich auf den Mann zu.
Sadre stand so, daß er direkt auf die vier Leichen schauen konnte. Er sah jede Einzelheit und schaute Tommy kurz von der Seite an, um sich davon zu überzeugen, daß er seine Augen auch nicht geschlossen hielt.
»Sie starben in der Nacht, Tommy.«
»Na und?«
»Ihr Mörder kam und tötete sie lautlos. Er war kein Mensch, er war das Böse in menschlicher Form. Er ist aus einer anderen Welt geschickt worden. Ein mächtiger Dämon muß ihm Rückendeckung gegeben haben. In seinem Auftrag hat er gehandelt.«
Tommy nickte. Er rang nach Worten. »Aber was kann ich denn dazu?«
»Du bist den Weg gegangen, wie dein Vater es schon so richtig sagte. Es war der falsche Weg, denn durch dich ist der Polizist, den wir dir nachschickten, in den Kreislauf des Bösen hineingeraten. Er hat sich aus ihm gelöst, er kam zu uns, und er ist es gewesen, der die vier Toten hinterlassen hat. Schau genau hin, dann wirst du auch erkennen können, wie er sie umbrachte.«
Tommy Li wollte es nicht, aber der andere zwang ihn förmlich durch seinen Blick dazu.
Sehr deutlich waren die dunklen Streifen an den Hälsen der Toten zu erkennen.
Tommy wurde noch bleicher. Man hatte den Männern die Kehle durchgeschnitten.
Plötzlich überkam ihn eine kalte Furcht, aber er dachte gleichzeitig daran, daß er auch diesem Sinclair gedroht hatte, ihn umzubringen und ihn sogar attackiert hatte. So wäre er auch zum Mörder geworden, nur um mit seiner Geliebten Joanna zusammen sein zu können.
»Reicht das?«
»Ja.«
»Es ist indirekt deine Schuld. Dein Vater will, daß du wieder etwas davon gutmachst. Du aber wolltest einen anderen Weg einschlagen, das hassen wir, das werden wir nicht zulassen. Du bist und bleibst mit der Familie eng verbunden.«
Tommy leckte über seine trockenen Lippen. Er dachte über alles nach, seine Gedanken rasten und konzentrierten sich schließlich auf einen Punkt.
»Warum nur?« flüsterte er. »Was ist der Grund für diese Taten gewesen? Weshalb…?«
»Das wissen wir nicht. Vielleicht kann er es uns sagen, wenn er zurückkehrt.«
»Der Killer?«
»Ja. Wir glauben nicht, daß er seine Aufgabe schon erledigt hat. Sein Job war blutig und wird auch blutig weitergeführt werden, darauf kannst du dich verlassen.«
Tommy schluckte, drehte sich ab und lief zur Tür. Er war froh, als er im Gang stand, wieder durchatmen konnte und seine Übelkeit allmählich verschwand.
Sadre folgte ihm langsamer. Er betrachtete den jungen Mann, der sich gegen die kalte Wand gedrückt hatte und dachte daran, daß Tommy nie ein Nachfolger seines Vaters werden konnte. Er besaß nicht einmal ein Drittel vom Format eines Li Choung.
»Wir werden wieder hochfahren. Komm mit.«
»Und dann?«
»Gehen wir zu deinem Vater.«
Der alte Mann hatte schon auf sie gewartet. Diesmal saß er nicht hinter seinem Schreibtisch, sondern stand am Fenster, schaute in seinen Garten und drehte sich auch nicht um, als er eine bestimmte Frage stellte. »Hast du gesehen, was du angerichtet hast, Tommy?«
Obwohl ihm nicht danach zumute war, mußte er einfach lachen. »Ich angerichtet?«
»Ja, du.«
»Ich habe keinen dieser Leute umgebracht.«
Li Choung drehte sich. »Da hast du sogar recht. Du hast sie nicht mit deinen eigenen Händen getötet, aber du bist derjenige, auf den sich alles zurückführen läßt. Allein durch dich sind wir in derartige Schwierigkeiten geraten. Ich kann es einfach nicht zulassen, daß du dich drückst und mein Haus verläßt. Du wirst alles mit uns zusammen durchstehen. Dieser Mensch, der meine vier Leute ermordet hat, ist Suko gewesen, John Sinclairs Freund. Ich weiß, daß er zurückkehren wird, denn er verfolgt seine eigenen Pläne, in die er uns mit einschließt. Und deshalb wirst du auch bei uns bleiben.«
Tommy Li hatte die Worte genau gehört. Mit einer müden Bewegung wischte er eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Seine Haut glänzte, als wäre sie mit Öl eingerieben worden. Der Blick flackerte, die Angst stand ihm
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