071 - Der Hexer mit der Schlangenhand
ebenfalls kleine Schlangenkörper - waren deutlich
gespreizt. Dann waren die Schlangenkörper plötzlich verschwunden, und Clair sah
sich selbst auf dem Altar liegen! Willenlos und unfähig, sich zu bewegen! Und
der Hexer mit den Schlangenfingern hatte sie in seiner Gewalt, und sie wartete
darauf, daß der Dolch sich in ihr Fleisch senkte, und ...
Sie erwachte,
in Schweiß gebadet in ihrem leichten Mantel, für den es eigentlich noch viel zu
warm war. Vergeblich bemühte sie sich, die Kette von der Wohnungstür zu lösen.
Clair Bellow
zitterte am ganzen Körper wie Espenlaub.
Das war doch
unmöglich! Zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit versuchte sie, ihre Wohnung zu
verlassen, ohne daß ihr etwas davon bewußt war.
Und diese
furchtbaren Träume! Sie versuchte sich daran zu erinnern, doch alle Bilder
waren fortgewischt, restlos verblichen. Nur der Eindruck von etwas
Schrecklichem war haften geblieben, auch wenn sie es nicht näher ein- ordnen
konnte.
»Das hat nichts
mehr mit dem kollektiven Unterbewußtsein zu tun«, murmelte die hübsche Blonde
leise. Jemand versuchte, ihr -seinen Willen aufzuzwingen;
Oder war es
vielleicht kein fremder Wille? War es nicht ihr eigener Wunsch, der
bedrückenden Enge ihres Apartments zu entkommen und irgendwohin zu gehen, wo
man sie kannte und brauchte, wo man sie bereitwillig aufnahm?
●
»Eben
reicht’s«, sagte der dunkelhaarige Student und schob, die Bücher zurück.
Er schloß
sekundenlang die Augen und lehnte sich zurück.
Es fiel ihm
schwer, sich zu konzentrieren. Er kam mit der Arbeit nicht recht voran, schrieb
an seinem Vorexamen und hatte sich in den vergangenen Tagen kaum Ruhe gegönnt.
Jetzt merkte
Duncan Kilbee, daß er sich zuviel zugemutet hatte.
Er wirkte
blaß und erschöpft.
»Mir fällt,
die Decke auf den Kopf, wenn ich noch länger hier bleibe«, sagte er im
Selbstgespräch und erhob sich abrupt.
Er hatte
wegen seiner Arbeit Clair vernachlässigt und sie in den letzten Tagen nicht mal
angerufen.
Das wollte er
nachholen.
Er griff
schon zum Telefon, als ihm eine bessere Idee kam.
Ich werde
Clair überraschen, sagte er sich, und der Leistungsdruck, dem er sich in den
vergangenen Tagen unterworfen hatte, fiel plötzlich von ihm ab.
Für
unerwartete Gags hatte er eine Schwäche.
Clair Bellow
würde Augen machen, wenn er unerwartet bei ihr auftauchte. Damit rechnete die
Freundin bestimmt nicht...
Er fuhr sich
durch die Haare, schlüpfte in eine leichte Jacke, löschte das Licht und verließ
seine Bude.
Sie lag in
der vierten Etage eines alten Hauses in der Southampton Road. Von seinem Zimmer
aus konnte er den Gebäudekomplex des Britischen Museums sehen.
Duncan Kilbee
war ein schlaksiger Bursche mit aschblondem Haar und Lippenflaum. Obwohl schon
dreiundzwanzig, wollte der Bartwuchs bei Kilbee nicht so recht einsetzen. Er
rasierte sich nur einmal in der Woche.
Das Ziel des
Studenten war die nächstse U-Bahn-Station.
Ein eigenes
Fahrzeug hatte er nicht und vermißte es auch nicht. Mit der Underground konnte er in wenigen Minuten entfernt liegende Stationen überall in
London erreichen. Billiger und schneller kam man nicht vom Fleck.
Während er
über die Treppe zur Station nach unten ging, schob er sich einen Kaugummi
zwischen die Zähne. Pfefferminzgeschmack breitete sich in seinem Mund aus und
haftete auch seinem Atem an.
Duncan Kilbee
brauchte nur fünf Minuten zu warten. Dann rauschte die Bahn heran. Zischend öffneten
sich die Türen, und die warteten Fahrgäste beeilten sich, in die Waggons zu
kommen.
Sekunden
später zog die Bahn an und jagte pfeilschnell durch den Tunnel.
Der junge
Mann fuhr drei Stationen weiter.
Dann stieg er
aus.
Von der
erreichten Station aus lag das Haus, in dem Clair wohnte, nur zwei Straßenecken
entfernt.
Von der
Ampelanlage konnte Kilbee das graue Gebäude schon sehen.
Der Himmel
über London zeigte sich in seinem sprichwörtlichen Grau. Die Luft war diesig,
und von der Themse wehten dünne Nebelstreifen herüber.
Die
Leuchtreklamen an den Geschäftshäusern brannten, ebenso waren sämtliche
Schaufenster beleuchtet.
Licht brannte
auch hinter dem Fenster von Claires Wohnung.
Duncan Kilbee
grinste verschmitzt in der Vorfreude auf die Überraschung, die ihn erwartete.
Es wurde eine
... Allerdings in anderem Sinn, denn hinter der schmalen Haustür, der er sich
näherte, spielte sich in diesem Moment ein grauenvolles Ereignis ab - und auch
Duncan lief dem Verderben genau in die
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