071 - Gefangen in den Bleikammern
sie von dir gewollt?" fragte mein Vater.
„Nichts", sagte ich.
Ich wollte ihm erzählen, daß ich zu einem Alchemisten namens Idanna Barsento gehen sollte, doch ich konnte es nicht sagen; etwas hinderte mich daran.
Mein Vater sah mich scharf an.
„Sprich die Wahrheit!" herrschte er mich an.
„Sie hat nichts von mir gewollt", wiederholte ich.
Mein Vater seufzte. Ich sah alles wie durch einen Schleier hindurch und wurde in eine Folterkammer gebracht. Beim Anblick der Marterinstrumente wurde mir schwindelig. Ich setzte mich an einen langen Tisch, und mein Vater stellte mir einige der anwesenden Männer vor. Ich behielt ihre Namen nicht. Es waren Richter und Beauftragte des Dogen.
Und dann sah ich Selva. Sie wurde vor das Tribunal gebracht. Ich hörte die Rede des Anklägers. Selva leugnete die ihr zur Last gelegten Verbrechen.
Mir wurde schlecht, als man Selva die Folterwerkzeuge zeigte. Der Henker erklärte ihre Anwendung und Wirkungsweise. Als sie noch immer nicht gestehen wollte, wurde ihr das Kreuz abgenommen, an das sie gefesselt war. Der Scharfrichter und seine Knechte untersuchten sodann auf das schamloseste Selvas Körper. Sie suchten nach eventuell verborgenen Zaubermitteln, mit denen sie sich gegen die Folter unempfindlich machen konnte. Als sie damit fertig waren, wurde ihr Körper nach dem Hexenmal - Stigma diabolicum - abgesucht. Sie stachen mit spitzen Nadeln unter die Nägel und Leberflecken.
Dann folgte der erste Grad der Folter. Selva wurde auf den Marterstuhl gebunden, ihre Hände wurden auf den Rücken gefesselt. Zwei bullige Henkersknechte schlugen mit handbreiten Lederpeitschen auf sie ein. Immer wieder schrie der Untersuchungsrichter, daß sie endlich gestehen sollte. Doch Selva erduldete alle Schmerzen, ohne zu klagen und zu schreien. Anschließend waren die Daumenstöcke an der Reihe.
Ich wandte den Kopf ab. Alles drehte sich vor meinen Augen und ich brach bewußtlos zusammen.
Ich war in einen Seitentrakt des Palastes gebracht worden. Als ich die Augen aufschlug, blickte ich in das Gesicht meines Vaters. Augenblicklich schloß ich die Augen wieder.
Es war unmenschlich, was mit Selva geschah. Wenn sie auch tatsächlich eine Hexe war, dann hatte kein Mensch das Recht, sie auf diese grausame Art zu einem Geständnis zu zwingen.
„Hat Selva gestanden?" fragte ich schließlich.
„Nein", antwortete mein Vater. „Sie ist verstockt. Die Folter wurde abgebrochen. Sie wird morgen mit dem zweiten Grad fortgesetzt. Wenn sie dann noch immer nicht gesteht..."
„Sag nichts mehr!" brüllte ich und sprang auf. „Es ist grausam. Einfach fürchterlich!"
„Sie bekommt nur die verdiente Strafe", sagte mein Vater hart.
„Ich will nichts mehr davon hören!" kreischte ich hysterisch.
„Ich lasse dich jetzt nach Hause bringen", sagte mein Vater hart. „Du darfst den Palast nicht verlassen. "
Willenlos ließ ich mich von Rodolfo und Orazio, Bedienstete meines Vaters, zur Gondel führen. Ich stieg ein, und wenige Minuten später waren wir im Palazzo.
Selva ist eine Hexe, dachte ich, als ich in das Musikzimmer trat. Ich griff nach der Laute, auf der sie so oft gespielt hatte, schlug die Saiten an und sang leise ein Lied, das sie mich vor langer Zeit gelehrt hatte.
Idanna Barsento. Campo Morosini 28. Ich mußte hingehen. Mir blieb keine andere Wahl. Ich mußte ihren Befehl ausführen und Selva helfen.
Ich schleuderte die Laute zur Seite und sprang wütend auf.
„Sie ist eine Hexe!" brüllte ich. „Eine verdammte Hexe!"
Doch ihr Befehl ging mir nicht aus dem Sinn. Ich kämpfte dagegen an, aber ihre Worte hallten in mir nach.
Ich durchquerte die Halle und wollte das Haus verlassen, was mir aber nicht gelang, da mir Orazio den Weg versperrte. Verärgert ging ich auf mein Zimmer und blickte aus dem Fenster. Es müßte eigentlich keine größeren Schwierigkeiten machen, durch das Fenster auf den Kai zu klettern,, ich mußte nur warten, bis es Nacht wurde.
Ich traf meine Vorbereitungen. Als ich damit fertig war, ging ich ins Eßzimmer. Mein Vater erwartete mich bereits. Immer wieder fragte er mich danach, was mir Selva im Kerker zugeflüstert hatte, doch ich verriet ihm nichts.
Kurz nach Mitternacht handelte ich. Nur wenige Gondeln waren zu sehen, kaum ein Spaziergänger ging am Palazzo vorbei. Ich holte den Strick unter dem Bett hervor, verknotete ihn um einen schweren Schrank, zog daran und nickte zufrieden. Der Strick mußte mein Gewicht aushalten. Ich schritt zum Fenster und öffnete
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