0711 - Die Nacht der Wölfe
Keiner von ihnen wusste, was das bedeutete, niemand hatte sie auf ihr neues Leben vorbereitet, und doch waren sie alle von einer unstillbaren Sehnsucht nach dem, den sie Kuang-shi nannten, erfüllt.
Das war ein Name, der sie in ihrem Innersten erschaudern ließ und jede Frage nach dem Sinn ihrer Existenz beantwortete.
Sie lebten, um ihm zu dienen.
Die Tulis-Yon liefen durch die Nacht. Sie wussten, dass sie gekommen waren, um zu töten, und sie wussten, dass sie in ihrem früheren Leben davor zurückgeschreckt wären. Aber die Zeit der Zweifel war vorbei. Begriffe wie Gut und Böse, richtig und falsch, waren nicht mehr als Worte, die aus einer anderen, vergangenen Welt stammten. Jetzt ging es nur noch um die Befehle, die sie erhalten hatten. Sie zu erfüllen, war die einzige Regel, die sie noch akzeptierten, denn vielleicht würden sie nach dem Ende dieser Nacht endlich vor ihrem Herrn knien.
»Möge Kuang-shi mit uns sein«, flüsterten die Tulis-Yon, als sie in die Häuser eindrangen und die Menschen, die einst ihre Nachbarn gewesen waren, zerfleischten. Sie priesen den Namen ihres Herrn mit dem Blut, das sie vergossen, und mit den Wunden, die ihre Zähne rissen.
Dann legten sie den Kopf in den Nacken und heulten in die mondlose Nacht.
Und in der Stadt gingen die Lichter aus.
***
Zamorra blieb atemlos stehen und stützte die Hände auf die Knie. Selbst hier am Rand des Hofes spürte er die Hitze des Feuers.
Die Farm brannte.
Riesenhaft stachen die Flammen aus dem Haupthaus. Mit einem Knall fiel das Dach in sich zusammen. Funken stoben in die Luft und wurden vom Wind über die Felder getragen, wo sich bereits andere, kleinere Feuer gebildet hatten.
Neben Zamorra stöhnte Yellowfeather.
»Ich kenne die Ingles seit über zwanzig Jahren«, sagte er so leise, dass Zamorra ihn über das Prasseln des Feuers kaum verstehen konnte. »Vielleicht sind sie ja rechtzeitig rausgekommen.«
»Nein, das sind sie nicht.« Es war brutal, aber es brachte nichts, wenn er falsche Hoffnungen weckte. »Das Feuer haben die Tulis-Yon nach der Ermordung der Farmer gelegt. Es tut mir Leid.«
Der Sheriff senkte den Kopf.
»Wieso tun sie das?«, fragte Nicole. »Warum morden sie in aller Öffentlichkeit?«
»Das ist mir egal«, antwortete Yellowfeather. »Ich will nur, dass sie aufhören. Also sagen Sie mir, was ich tun kann.«
Zamorra zeigte auf einen alten Pick-up-Truck, der vor einer Scheune stand.
»Sie können fahren, den Rest erledigen wir.«
Er zog den Blaster unter der Jacke hervor und checkte die Energieanzeige. Die Waffe war noch fast voll geladen. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, dass Yellowfeather den Blaster verwundert anstarrte. Ein wenig unterschied der sich in seinem Aussehen schon von normalen Pistolen. Allein durch die dünnen Kühlspiralen, die den Lauf umgaben, und den Projektionsdorn in der Mündung.
»Das ist eine Strahlenwaffe«, sagte Zamorra. »Damit dürften sogar die Tulis-Yon Probleme bekommen.«
»Sieht aus wie ein Spielzeug«, kommentierte der Sheriff und ging zum Truck.
»Die Schlüssel stecken«, sagte er, als er die rostige Fahrertür öffnete. »Allerdings hat der Wagen nur zwei Sitze.«
»Ich fahre hinten mit«, entschied Zamorra. »Da habe ich ein freies Schussfeld.«
Er schwang sich auf die Ladefläche und stellte sich so, dass er über die Fahrerkabine hinwegblicken konnte. Vor ihm hatte jemand nachträglich eine Metallstange an der Kabine festgeschraubt. Anscheinend wurde die Ladefläche öfter von Personen benutzt.
Yellowfeather warf einen letzten Blick auf die brennende Farm und sah Zamorra und Nicole an. »Ich muss in der Stadt als erstes die Feuerwehr informieren, sonst steht bald die ganze Gegend in Flammen. Kann einer von ihnen die Leute schützen, wenn sie hier rausfahren?«
Nicole nickte. »Natürlich.«
»Danke.«
Yellowfeather schlug die Fahrertür hinter sich zu und ließ den Wagen an. Nach dem vierten Versuch meldete sich der Wagen mit lautem Knattern und aufsteigenden Ölwolken. Behäbig setzte er sich in Gang und rollte auf einen nicht asphaltierten Weg zu, der in gerader Linie zwischen den Feldern hindurchzuführen schien.
Zamorra war erleichtert, dass sich Yellowfeather nicht für die Abkürzung durch die Prärie entschieden hatte. Es fiel ihm auch so schon schwer genug, sich mit einer Hand festzuhalten, aber er wollte im Fall eines Angriffs keine wertvolle Zeit mit dem Ziehen des Blasters verschwenden.
Nach ein paar hundert Metern gewöhnte er sich an das
Weitere Kostenlose Bücher