0718 - Tango Fatal
murmelte ich. »Es steht nur fest, daß die Mörder in einem recht gehabt haben. Das Ehepaar Sanchez war tatsächlich vom Teufel besessen.«
Pierre Piccard schwieg. Er wollte das Haus nun verlassen und ging vor zur Tür.
Ich blieb an seiner Seite, und es tat mir einfach gut, als ich Pierre Piccard die Tür öffnete und das helle Tageslicht uns umströmte. Das war die normale Welt, das herbstliche Elsaß mit einer wunderschönen Oktobersonne am blauen, beinahe wolkenlosen Himmel.
Pierre Piccard ging die Stufen hinab. Ich blieb auf der oberen stehen. Er drehte sich um, schaute mich an und nickte. Dann sagte er: »Ich hoffe, daß wir uns beide gesund wiedersehen.«
»Das hoffe ich auch.«
Piccard drehte sich und ging. Er hatte es überstanden, ganz im Gegensatz zu Gaston Lacre.
Ich schaute dem Mann nach. Er ging auf die schmale Straße zu, die zum Dorf führte. Er hielt den Kopf gesenkt, er würde nachdenken und sich vielleicht einmal daran erinnern, was mit ihm geschehen war. Als er hinter einigen Bäumen verschwand, drehte auch ich mich um und ging wieder zurück in das Haus.
Mich überkam schon ein seltsames Gefühl, als ich die Schwelle übertrat. Ich schaute in den langen Flur, der wie ein düsterer Schlauch wirkte. Die Decke verschwamm ebenso im Düstern wie die Wände. Der Stuhl war kaum zu erkennen.
Mit einem leichten Knall fiel die Tür hinter mir ins Schloß. Und ich kam mir vor wie in einer gewaltigen Gruft, in der unheimliche Kräfte auf mich lauerten.
Eine Tanzschule war hier eingerichtet worden. Das hatte ich noch nie erlebt. Ich kannte derartige Schulen aus London her, aber sie befanden sich in einer anderen Umgebung. Das Ehepaar Sanchez war bestimmt nicht darauf aus gewesen, einen finanziellen Gewinn zu machen. Die beiden hatten sich etwas anderes holen wollen.
Ob sie nun dem Teufel zugetan waren oder einem anderen Dämon, blieb im Prinzip gleich. Es zählte nur, daß sie versucht hatten, Menschen zu manipulieren, um sie reif für die Mächte dahinter zu machen.
Zum drittenmal hatte ich das Haus betreten, und zum drittenmal stand ich im Flur.
Diesmal allerdings hatte ich mich dicht hinter der Tür umgeschaut und auch einen Lichtschalter entdeckt.
Ich drehte ihn.
Nichts tat sich.
Das hätte ich mir denken können. Wer hier seine makabren Späße trieb, konnte gut und gern auf Licht verzichten, denn die Finsternis war schon immer ein Freund des Bösen gewesen.
Gut, daß ich meine kleine Lampe bei mir trug. Ich ging vor bis zu dem Zimmer, in dem ich mit Ramona Sanchez den Tango getanzt hatte. Der tote Gaston Lacre lag noch immer dort. Wie sein Körper an die Decke gekommen war, wußte ich nicht. Ich konnte nur spekulieren, ging aber davon aus, daß in diesem Haus noch andere Kräfte steckten und ich mich auf gewisse Überraschungen gefaßt machen konnte.
Kräfte, die man mit den Begriffen Telekinese oder Teleportation umschrieb.
Poltergeister, gefangene Seelen, das alles gab es, damit mußte ich rechnen.
Ich drehte mich wieder um. Am Ende des Ganges, das wußte ich auch, begann die breite Treppe, die in die oberen Etagen führte. Auch dort waren die Fenster zugemauert worden. Niemand hatte gewollt, daß jemand in die Tanzschule hineinschaute.
Und dort oben irgendwo mußte, meiner Ansicht nach, auch Ramona Sanchez lauern. Höchstwahrscheinlich wollte sie den Tanz fortsetzen. Irgendwann endete der Tango Fatal in der Hölle.
Ich ging weiter, passierte mehrere Türen, die allesamt verschlossen waren.
Der Lichtkegel wanderte vor mir her. Er zuckte über den Boden oder an den Wänden entlang. Er war wie ein Finger, nach dem ich mich richtete und der mich führte.
Endlich sah ich die Treppe. Sie bildete praktisch die Verlängerung des Flurs und knickte dann nach rechts ab, um breit in die erste Etage zu führen.
Ich blieb vor der ersten Stufe stehen und wollte hochleuchten, als es passierte.
»Willkommen, Sinclair! Willkommen in meiner Tanzschule. Du bist noch nicht gut genug, was das Tanzen angeht. Ich habe beschlossen, daß wir beide ein wenig üben. Komm hoch, komm zu mir, Sinclair. Ich warte gern auf dich…«
Ich lauschte dem Klang der Stimme nach. Ramona Sanchez hatte mich auf diese nette Art und Weise begrüßt.
»Was ist? Kannst du nicht antworten?«
»Doch, doch!« rief ich zurück.
»Dann komm endlich her!«
»Eigentlich wollte ich nicht tanzen. Wäre es nicht besser, wenn du zu mir kämst?«
»Nein, das ist mein Haus. Hier habe ich zu bestimmen. Und ich will, daß du
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