072 - Das Horror Palais von Wien
vom Erscheinen des
Grafen dort zu später Stunde.
»Er
wurde von mehreren Personen gesehen. Auch von den Eltern des Mädchens. Paul
Graf von Cernay lud die Tochter des Hauses zu einer Kutschfahrt ein. Seither
ist sie verschwunden. Und mit ihr der Graf…«
»Was
mich nicht wundert bei letzterem. Jemand, den es nicht mehr gibt, kann schlecht
in Erscheinung treten.«
Denner
wiegte den Kopf. »Wir müssen die Sache sehr ernst nehmen und gehen deshalb
jeder Spur nach. Der Graf hat behauptet, daß er im Palais zu Hause sei.«
»Im
Palais wohnt niemand, schon gar kein Graf… Da hat sich jemand einen Scherz
erlaubt, und wie mir scheint, einen höchst makabren. Jemand hat sich
für einen Grafen von Cernay ausgegeben, und das Mädchen ist prompt darauf
hereingefallen. Es hat sich leichtfertig in ein Abenteuer begeben.
Wahrscheinlich war das der Mann, hinter dem die Polizei die ganze Zeit schon
her ist. In Wien geht vermutlich ein Mörder um… die Zeitungen schreiben doch
ständig davon. Gerade junge Mädchen und Frauen sind gefährdet. Und dann kommt
so ein Kerl daher, gibt sich als Graf aus, und schon beißen sie an…« Denner
nickte ernst. Im stillen mußte er dem Mann recht geben. »Das war’s dann auch
schon«, meinte der Kriminalassistent. »Ihnen ist also hier im Palais nichts
aufgefallen? Nichts – Ungewöhnliches? «
»Nein.
Hätte ich den Grafen oder seine Kutsche gesehen, würde ich es Ihnen sagen. Hier
im Palais geschehen keine außergewöhnlichen Dinge. Auch wenn die Leute immer
wieder mal etwas gehört oder gesehen haben wollen… ich müßte es doch wahrhaftig
zuerst sehen und hören. Ich bin hier der Hausmeister, und mir entgeht nichts.
Das können Sie mir glauben.«
»Ich
glaub’s Ihnen.« Denner entschuldigte sich noch mal für die Störung und
verabschiedete sich. Er ging nach unten. Der Hausmeister blickte ihm nach.
Weder er noch Denner hatten den teuflisch grinsenden Mann gesehen, der hinter
der Ecke des abzweigenden Korridors stand und Zeuge ihrer Unterredung geworden
war. Boris Rakow wandte sich ab und kehrte ebenso lautlos wie er gekommen war
zu seiner Wohnung zurück. Hinter der Tür wartete die Hexe Marina. Er sagte ihr,
was er gehört hatte. Dann ging er in die Wohnung. Wäre Kriminalassistent Denner
einige Zimmerfluchten weitergegangen, hätte er etwas von dem, was er suchte
gefunden: Das Mädchen – Evi Strugatzki! Sie war eine der beiden reglosen
Gestalten auf der Couch.
●
X-RAY-11
lag mit offenem Mund am Boden. Die Hände hatte der PSA-Agent von der Kehle
genommen. Peter Pörtscher war ohnmächtig. »Was machen wir mit ihm?« wollte der
Russe wissen. »Wir bringen ihn in den bewußten Raum«, entgegnete Marina. »Warum
sollen wir uns die Hände schmutzig machen? Besser als von dort aus werden sich
die Dinge nicht erledigen.« Rakow war damit einverstanden. Er verschnürte
Pörtscher genauso kunstgerecht wie Iwan Kunaritschew zuvor. Während er damit
befaßt war, ordnete die Hexe einige Papiere auf dem großen Eßtisch, der rechts
an der Wand stand. Das Paar hatte hier gearbeitet. Viele Notizen und Skizzen
waren angefertigt worden. Auf dem Tisch lagen unter anderem auch zwei
Original-Seiten aus dem Buch Die Magie der unsichtbaren Zauberwesen. Geschrieben
war der Text in Deutsch…
»Wir
werden noch mehr finden«, murmelte die Hexe, »und werden eine Macht dadurch
entwickeln, die uns Unbesiegbarkeit schenkt. Die Original-Handschrift wurde
absichtlich in zahllose Einzelseiten zerlegt. Mit jeder Seite kann man etwas
anfangen, wenn man die Hinweise und Richtlinien genau beachtet. Was wir bis
jetzt in Gang gebracht haben, ist der lebendige Beweis. Aber dies alles ist
erst der Anfang. Ich bin überzeugt davon, daß in Wien in alten Büchern
Originalseiten aus dem betreffenden Werk von Tanja Gräfin von Cernay stecken.
Und es gibt noch eine ganze Menge direkt hier an Ort und Stelle, nämlich im
Palais selbst, zu entdecken. Wir dürfen uns nicht irritieren und zu einem
frühen Aufbruch drängen lassen. Wer sich uns in den Weg stellt, wird beseitigt.
Und den Geistern des Palais tun wir damit noch einen Gefallen. Wir besänftigen
sie und ihren geheimnisvollen Meister, den Grafen von Cernay… ich habe ihm den
Weg in die Freiheit geebnet, ihm ein neues Leben geschenkt, und er wird sich
bestimmt irgendwann entsinnen, was seine Mutter mit dem einmaligen Buch getan
hat, das das Leben einiger Menschen mehr beeinflußt hat als alles andere…«
Sie
brauchte nicht mit anzupacken. Rakow
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