072 - Der unheimliche Mönch
„das wollen wir."
„Diesmal haben wir beide nichts bei der Sache verdient, aber wir haben ein gutes Werk getan und Sie haben drei aufregende Minuten erlebt, die Sie nie vergessen werden."
„Ja, da haben Sie recht", erwiderte Mr. Campbell und zitterte noch, als er daran dachte.
5
Lord Heppleworth sah über die Brille zu seiner jungen Frau hinüber, die an der anderen Seite des Tisches saß. Sie hatte so weit ab wie nur irgend möglich von ihm Platz genommen.
„Liebling", sagte ihr Gatte, „der junge Mann von der Versicherungsgesellschaft wird pünktlich um zehn Uhr hier sein."
Lady Gladys Heppleworth gähnte.
„Wozu kommt er?" fragte sie gleichgültig.
„Wie oft habe ich dir schon gesagt, daß du dich etwas besser ausdrücken sollst. Das klingt nicht gut: ,Wozu kommt er?' Du hättest vielleicht besser gefragt: ,Aus welchem Grund kommt er?'"
Sie sah müde aus dem Fenster und unterdrückte einen Seufzer.
„Er kommt natürlich wegen des Verlustes der großen Perle. Das ist eine etwas mysteriöse und - ich muß schon sagen - unangenehme Angelegenheit. Ich weiß tatsächlich nicht, was ich davon denken soll."
Der Lord war ungefähr fünfzig Jahre alt, etwas hager und hatte blonde Haare. Er besaß wenig Humor und noch weniger Phantasie. Seine Freunde waren über seine Eheschließung beunruhigt. Gladys de Vere war Schauspielerin gewesen; sie hatte in modernen Revuen kleine Rollen gespielt, und niemand hatte an die Möglichkeit gedacht, daß Lord Heppleworth, ein Witwer, sie heiraten würde. Die Verbindung erregte in der Gesellschaft unangenehmes Aufsehen. Man wußte nicht, was man dazu sagen sollte und wartete auf eine Erklärung des Lords. Daß er sich in die Schauspielerin verliebt hatte, erschien kaum glaublich, denn man hatte ihn für so verknöchert und pedantisch gehalten, daß man ihm dergleichen überhaupt nicht zutraute.
Lord Heppleworth fühlte sich recht glücklich und bereute seine Eheschließung nicht. Gladys jedoch seufzte unter den Fesseln. Als sie sich verlobte, hatte sie geglaubt, daß nun das große Glück für sie gekommen wäre. Sie träumte von Gesellschaften und Reisen in ferne Länder und glaubte, das Leben würde für sie nur ein Wirbel von Vergnügungen und Frohsinn sein. Aber die graue Wirklichkeit sah ganz anders aus.
Lord Heppleworth hatte einen Landsitz in Shropshire, wo er acht Monate im Jahre zubrachte, und ein Haus in London, in dem er die übrigen vier Monate wohnte. Jedes Jahr verließ er die Stadt am gleichen Tag, um aufs Land hinauszuziehen, und jedes Jahr kehrte er am gleichen Tag pünktlich dorthin zurück. Er speiste jeden Abend in demselben Restaurant und interessierte sich, wenn auch nicht allzusehr, für Bienen. Seine Spezialität war die Mason-Biene.
Lord Heppleworth faltete die Times zusammen und klingelte nach dem Mädchen.
„Miss Parker", sagte er. „Hier sind drei Schnitten Schinken übriggeblieben, bitte heben Sie die zum Abendessen für mich auf."
„Jawohl, Mylord."
„Dann habe ich gesehen, daß in der vorigen Woche sechs kleine Brote zusätzlich gekauft worden sind. Wie kommt das?"
„Mylady hat Brot in den Park mitgenommen, um die Enten zu füttern."
Lord Heppleworth runzelte die Stirn und sah seine Frau an.
„Aber, Liebling", sagte er vorwurfsvoll, „das ist doch eine Verschwendung. Weißt du nicht, daß es Tausende von Kindern gibt, die dankbar wären, wenn sie das Brot bekämen, das du buchstäblich fortwirfst?"
Gladys zuckte die Schultern.
„Gut, dann werde ich das Brot den Armen schicken."
„Das ist durchaus nicht nötig. Es gibt genügend Wohltätigkeitsgesellschaften. Die haben die Verteilung von milden Gaben an die Armen übernommen und tun das systematisch."
„Was soll ich dann machen?" fragte sie und drehte sich unwillig nach ihm um. „Soll ich hier den ganzen Tag stillsitzen und in den Mond gucken?"
Lord Heppleworth hob die Hand zum Protest, „Einen Augenblick, mein Liebling." Er wandte sich zu dem Mädchen. „Miss Parker, Sie können jetzt gehen." Als sich die Tür hinter ihr schloß, sagte er: „Ich möchte dich doch bitten, dich in Gegenwart von Dienstboten, zusammenzunehmen. Du hast wirklich keinen Grund, dich zu beklagen. Ich habe dir eine bedeutende Summe für jedes Jahr ausgesetzt."
„Bedeutend!" erwiderte sie verächtlich. „Was kann ich schon mit zweihundert Pfund im Jahr anfangen?"
„Als ich in Eton auf dem College war, hat mir mein Vater fünfzig Pfund im Jahr gegeben und erwartet, daß ich davon noch
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