072 - Der unheimliche Mönch
aufsuchte.
„Dieses Ferienabenteuer ist eine merkwürdige Angelegenheit.
Der alte Lord ist ein ganz ehrlicher Kerl, daran ist nicht zu zweifeln."
„Das wissen wir auch. Aber erzählen Sie mir doch etwas Genaueres über die Sache."
Bob berichtete, was er von dem Fall wußte, und Campbell nickte.
„Der Lord hat vollkommen recht. Die Versicherungspolice ist auf dreiundsechzig Perlen ausgestellt, und wenn jetzt nur zweiundsechzig vorhanden sind, müssen wir die fehlende Perle ersetzen. Haben Sie die einzelnen Stücke selbst gezählt?"
„Ja, ich habe mir die Mühe gemacht. Und der Lord hat es auch getan."
„Was halten Sie denn von ihm?"
„Er ist ein alter Geizkragen und Pedant", meinte Bob. „Ich könnte mir denken, daß sich seine Frau, die er gar nicht versteht und die er unglücklich macht, über den Verlust der Perle freut, nur damit er sich auch einmal ärgert."
Nach zwei Tagen hatte Bob bereits allerhand herausgefunden und besuchte wiederum den Versicherungsdirektor.
„Über den Lord selbst habe ich wenig Neues erfahren", berichtete er. „Es ist ein langweiliger, bärbeißiger Kerl, und man hält ihn allgemein für übertrieben pedantisch. Lady Heppleworth hieß früher Gladys Surpet. Den Bühnennamen weiß ich nicht. Ihre Eltern sind bereits gestorben, aber sie hat noch eine Schwester und einen Bruder. Die Schwester hat's auch faustdick hinter den Ohren, sie war sogar an einem Bankbetrug in Manchester beteiligt. Man hat ihr nichts nachweisen können, obwohl einwandfrei feststeht, daß sie die gefälschten Papiere bei der Bank einreichte. Ihr Bruder war nicht so glücklich. Er wurde vor zwei Jahren zu zwölf Monaten Gefängnis verurteilt."
„Glauben Sie, daß der Bruder an dem Verschwinden der Perle schuld sein könnte?"
„Nein, das ist nicht der Fall, denn er ist augenblicklich in Australien. Er soll ein ziemlich dürftiges und mühseliges, aber ordentliches Leben führen. Die Schwester wird allerdings noch von der Polizei beobachtet, und ich habe sie vor allem in Verdacht, weil sie selbst das Juwelierhandwerk erlernt hat. Der alte Surpet hatte nur einen verhältnismäßig kleinen Laden, aber alle seine Kinder waren in seiner Werkstatt beschäftigt, mit Ausnahme von Gladys."
„Das erklärt aber immer noch nicht den Verlust der Perle."
„Aber vielleicht erklärt es die näheren Umstände. Auf jeden Fall werde ich Lord Heppleworth wieder aufsuchen. Es trifft sich gut, daß er mich zum Abendessen eingeladen hat, vielleicht kann ich dabei noch mehr erfahren."
Bob war zeitig im Haus des Lords; Lady Heppleworth wartete auf ihn im Empfangszimmer. Sie war bereits zum Essen angekleidet, aber es fiel ihm auf, daß sie das Perlenhalsband nicht trug. Sie bemerkte seinen Blick und lächelte.
„Sie sehen wohl nach den Perlen. Lord Heppleworth legt mir die Kette erst um, wenn ich das Haus verlasse. Er ist in dieser Beziehung sehr gewissenhaft", sagte sie leichthin.
„Das ist mir auch schon aufgefallen."
Der Lord erschien mit dem schwarzen Lederetui in der Hand.
Er öffnete es und nahm die Perlenschnur heraus.
„Zweiundsechzig", sagte er scherzend. „Ich glaube kaum, daß du heute abend eine Perle verlieren wirst, wo Mr. Brewer persönlich aufpaßt."
Sie lächelte und nahm ihren Abendmantel vom Stuhl.
„Der Wagen wartet schon", sagte sie und ging voraus.
Das Essen verlief ziemlich langweilig. Lord Heppleworth sprach viel, aber was er sagte, war belanglos und uninteressant. Mylady schwieg meistens. Bob überlegte, was sie wohl denken mochte, während sie ins Leere schaute. Ab und zu sah er, daß sie zerstreut mit den Perlen spielte.
„Begleiten Sie mich noch nach Hause", sagte der Lord nach dem Essen. „Ich habe über die Sache gründlich nachgedacht und eine Erklärung gefunden. Das alles möchte ich schriftlich niederlegen, und es wäre mir lieb, wenn Sie es einmal durchsähen und mir Ihre Meinung darüber sagten."
Bob seufzte, als er in den Wagen stieg, und machte sich auf einen langweiligen Abend gefaßt. Als sie in das Wohnzimmer traten, ließ sich Lord Heppleworth die Kette von seiner Frau geben und zählte jede Perle einzeln nach. Plötzlich richtete er sich verstört auf und atmete schwer.
„Das ist doch unmöglich", sagte er, beugte sich über den Tisch und zählte aufs neue. „Es sind jetzt nur noch sechzig Perlen! Zwei sind wieder verschwunden!"
Es herrschte Schweigen, als Bob die Kette selbst in die Hand nahm. Der Lord hatte sich nicht geirrt, es waren nur noch sechzig
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