072 - Die Schlangengöttin
Es gab keinen Zweifel, daß sie sich in Trance befand. Ich riß Xenia ein paar Haare aus, und mit einer kleinen Schere, die an dem Vielzweck-Taschenmesser angebracht war, schnitt ich ihr von zwei Fingernägeln ein Stückchen ab.
Sie reagierte nicht.
„Was soll denn das?" fragte Peter Plank.
Ich tat Haare und Fingernägel in einen kleinen Beutel, den ich bei mir trug. Er war aus Stoff und hatte innen einen mattglänzenden synthetischen Überzug.
„Das hat alles seinen Sinn", sagte ich, ohne mich näher zu erklären. „Sprich zu Xenia nicht darüber, Peter!"
„Verdammte Geheimniskrämerei!"
Ich weckte das Mädchen wieder aus der Trance. Xenia sah mich mit ihren grünen, unergründlichen Augen an und lächelte ein wenig.
„Habe ich etwas gesagt, Dorian?"
„Nichts, was uns weiterbrächte. Ich weiß immer noch nicht, wie Malcolm Stratten verschwunden ist und du in die Gewalt der Ophiten geraten bist. Wir müssen versuchen, von den Hippies etwas zu erfahren. Wenn sie die ganze Zeit hier leben, müssen sie einfach ein paar Dinge mitbekommen." Xenia erhob sich mit einer geschmeidigen Bewegung und schmiegte sich an mich. Ich sah die Mißbilligung und den Neid in Peter Planks Augen.
„Du bist heute anscheinend nicht sehr gefragt, Junge", konnte ich mir nicht zu sagen verkneifen.
„Gehen wir zu den andern", sagte Xenia.
Am Abend hatten wir alle Mitglieder der Hippiekolonie kennengelernt. Es waren etwas über fünfzig Leute. Im Hochsommer waren manchmal Hunderte hier. Wir hatten eine Menge Höhlen gesehen, aber nichts von Interesse entdeckt.
Xenia führte mich und Peter Plank umher. Sie sagte, daß sie mit mir in einer der Höhlen leben wollte; vielleicht in der Malcolm Strattens, die windgeschützt, geräumig und bequem war.
„Fein!" rief eine junge Amerikanerin, die wie ein Schulmädchen aussah, aber schon mit jedem männlichen Mitglied der Hipplekolonie geschlafen hatte. „Wir feiern eine Hippiehochzeit."
Xenia sah mich seltsam an.
„Das ist noch ein wenig verfrüht", meinte ich, „aber eine Feier können wir ruhig veranstalten. Ich habe noch etwas Geld, und wenn es alle ist, brauche ich mir keine Gedanken mehr zu machen, was ich am besten damit anfange."
Die zwölf Hippies, die sich bei uns in der Höhle befanden, waren Feuer und Flamme; die andern, die sofort verständigt wurden, ebenfalls. Bully fuhr mit Thomas Beckers Rover los, um Wein, Schnaps, ein paar Dosen Bier und Haschisch aus Iraklion zu holen.
Ich verfolgte einen Plan mit diesem Fest. Der Alkohol würde den Hippies die Zunge lösen; und ich machte mir eine gute Nummer bei ihnen, wenn ich ordentlich etwas spendierte.
Im Freien wurde ein großes Feuer gemacht. Die Hippies brachten einen blökenden Hammel an, der sich in eine der Höhlen verlaufen hatte. Er wurde geschlachtet und am Spieß gebraten. Als er fast durchgebraten war, kamen Bully und die drei andern zurück. Unter großem Hallo hoben sie drei Fäßchen, Flaschen und Pappkartons vom Wagen. Bully hatte auch noch ein Paket aus Packpapier bei sich. Er blieb auf dem Trittbrett des Rover stehen und machte ein geheimnisvolles Gesicht. Es war nun schon dunkel. Die Sterne schienen, und der Feuerschein beleuchtete sein Gesicht. Das gebratene Hammelfleisch roch würzig.
Bully öffnete das Paket.
„Das ist erstklassiger Shit. Brauner Afghan, und zu einem sehr günstigen Preis. Ja, Bully kennt den Haschischmarkt."
Er wurde als der Größte gefeiert. „Der Hammel ist gar!" rief eine Holländerin.
Sie hatte einen so lustigen Akzent, daß man ihr Englisch kaum verstand und alle lachen mußten.
Wir drängten uns um den Spieß. Jeder schnitt sich ein Stück mit dem Messer ab. Thomas Becker hielt mit. Er hatte den Wagen zur Verfügung gestellt und erklärt, sich an den Kosten für das Fest beteiligen zu wollen.
Zum Hammelfleisch tranken wir Rotwein. Die Schnapsflaschen kreisten. Es gab Ouzo, Gin und einen recht guten Whisky. Ein Hippie bot mir einen Joint an, aber ich lehnte dankend ab. In Bezug auf Rauschgift war ich altmodisch. Wenn ich einen Rausch haben wollte, dann trank ich mir ordentlich einen an. Mit einem Kater am nächsten Tag war dann alles ausgestanden, und man kam nicht auf dumme Gedanken.
Auch Xenia wollte kein Haschisch haben. Peter Plank rauchte den Joint ganz professionell. Er sog den süßlichen Rauch in die Lungen ein, und sein Gesicht nahm einen entspannten, ein wenig entrückten Ausdruck an.
Ein paar Hippies holten ihre Gitarren, Flöten und Sitars. Einer hatte
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