0725 - Der Satan von Sachsen
Tag über hatte Luise Sander immer wieder darüber nachgedacht. Da die Kunden bei ihr nicht nur kaufen, sondern auch reden wollten, hatte sie auch denen von ihrer Entdeckung erzählt, war allerdings auf taube Ohren gestoßen, denn niemand außer ihr hatte die verschwundene Frau gesehen.
Trotzdem ging sie davon aus, daß es Helga Stoßflug gewesen war, und sie hatte die Augen weit offengehalten. Sie war immer wieder vor die Tür gegangen, um nachzuschauen, ob sie Helga nicht doch wieder zu Gesicht bekam.
Das war nicht der Fall.
Dafür war ihr etwas anderes aufgefallen. Zwei fremde Männer, die Helmut Stoßflug besuchten, die ihr unbekannt waren.
Nun hatte Luise Sander einen Mund, um zu fragen und Ohren, um zu hören. Sie horchte also bei ihren Kunden herum, vor allen Dingen bei denen aus dem Stoßflugschen Haus, und erfuhr, daß dort die Polizei sogar eingetroffen war und jemand in einer Plastikwanne herausgeschafft hatte.
Das konnte nur eine Leiche gewesen sein.
Sehr seltsam war dies, und es steigerte natürlich die Neugierde der Frau.
Nichts wollte sie verpassen. Einmal sah sie die beiden Männer das Haus verlassen. Ja, das mußten Polizisten sein. Ihrer Meinung nach sahen sie auch so aus. Sie waren sogar an ihrem Geschäft vorbeigegangen und hatten kurz in den Laden geschaut.
Zurückgekehrt waren sie noch nicht, oder sie hatten einen anderen Weg genommen.
Jedenfalls stieg ihre Spannung. Sie war fest davon überzeugt, daß bald etwas passieren würde.
So wartete sie.
Und es geschah auch etwas.
Zuerst war ihr der Transporter kaum aufgefallen, der in der Nähe parkte. Er war bei Einbruch der Dämmerung gekommen, sie hatte keinen Mann aussteigen sehen, aber es war schon seltsam, daß man die Fenster des Transporters an der Rückseite schwarz gestrichen hatte.
Warum tat man das?
Eine Kundin, die den Wagen ebenfalls gesehen hatte, sprach Frau Sander darauf an. »Gehört der zu Ihnen?«
»Nein, wieso denn?«
»Ich dachte, Sie hätten Ware bekommen.«
»Nicht mehr um diese Zeit.«
»Aber der Wagen da…«
»Ist schon komisch«, vollendete Frau Sander den Satz. »Sogar die hintere Scheibe ist schwarz angestrichen worden. Als sollte dort niemand hineinschauen.«
»Ja, wie früher.«
»Aber das gibt es nicht mehr?«
Die Kundin bekam einen nachdenklichen Blick. »Würden Sie dafür die Hand ins Feuer legen?«
»Das nicht.«
»Ich auch nicht.«
»Na ja, Frau Sander, dann machen Sie es mal gut. Milch werde ich morgen holen.«
»Tun Sie das.«
Die Kundin verschwand. Luise Sander schaute auf ihre Uhr. In wenigen Minuten würde sie den Laden schließen. Sie wunderte sich dabei über sich selbst. Sonst war sie um diese Zeit immer erschöpft gewesen, heute nicht. Da fühlte sie sich jung, frisch und aufgedreht. Ob das an der Polizei lag, die in der unmittelbaren Gegend ein- und ausging? Das konnte sein, denn was passierte hier in diesem Häuserviertel schon Großes?
Kunden würden auch nicht mehr kommen. Jetzt hätte sie sich gern Helmut Stoßflug gewünscht, um ihm einige Fragen stellen zu können, der aber ließ sich nicht blicken.
Sie wollte abschließen.
Das lief nach einem bestimmten Ritual ab. Zuerst verriegelte sie die hintere Tür, dann ging sie nach vorn, um dort das gleiche zu tun.
Wenn das kleine Lager zu voll war, stellte sie auch manche Kisten auf den Hof. Das brauchte sie an diesem Abend zwar nicht, sie ging trotzdem durch die niedrige Tür nach draußen.
Luise Sander wußte selbst nicht, was sie dazu trieb, auf dem Hof und dicht vor der Hintertür stehen zu bleiben. Das kalte Wetter war es bestimmt nicht, eher ein Gefühl.
Sie stand zudem im Dunkeln da, denn sie hatte das Licht im Lager ausgeschaltet.
Es war die übliche herbstliche Abendstille, die über dem Hof lag. Vielleicht hörte sie deshalb die Schrittgeräusche, die sich ihr von der rechten Seite her näherten.
Luise Sander gehörte zu den Menschen, die sehr neugierig waren, was aber nicht auffallen sollte.
Deshalb zog sie sich in den dunklen Lagerraum zurück, ließ die Tür aber so weit offen, daß sie noch gut nach draußen schauen und auch die Tritte hören konnte.
Nicht nur sie, auch das Keuchen.
Luise hatte lange genug Säcke und Kisten geschleppt, um dieses Keuchen zu kennen. So atmete nur jemand, der unter einer ziemlich schweren Last litt.
Ein Dieb?
Das konnte sie sich nur schwerlich vorstellen. Dennoch blieb sie vorsichtig.
Dann sah sie die Gestalt.
Sie kam von rechts, und Luise Sander hatte das Gefühl, als
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