0725 - Der Satan von Sachsen
hätte jemand eine Bühne betreten, um sich dem staunenden Publikum zu zeigen. Aber dieser Mann, brauchte kein Publikum. Was er vorhatte, sollte nach Möglichkeit keiner sehen.
Nur Luise Sander sah ihn.
Und sie sah auch die Last auf der Schulter des Mannes. Zuerst dachte sie an einen Sack, in dem der Kerl seine Beute verstaut hatte. Aber ein Sack besaß keine zwei Beine, die auf dem Rücken des Tragenden hin und her schwenkten.
Das war ein Mensch!
Luises Herz klopfte schneller. Der Mensch bewegte sich nicht. Er war starr, und da gab es für Luise eigentlich nur zwei Möglichkeiten.
Entweder tot oder bewußtlos.
Der Gedanke daran trieb ihr das Blut in die Stirn. Plötzlich kam sie sich verrückt vor. Sie dachte an die Polizei, an die Leiche, die man aus dem Haus getragen hatte.
Und jetzt wieder ein Toter?
Vor Aufregung atmete sie schnell und heftig. Sie fürchtete sich davor, daß dieser fremde Kerl sie hören konnte, deshalb schloß sie rasch die Tür.
Im letzten Augenblick hatte sie noch mitbekommen, wohin sich der Mann wenden wollte.
Auf die Einfahrt zu.
Es blieb ihm auch keine andere Möglichkeit, als diesen Weg zu nehmen, wenn er das Gelände verlassen wollte. Aber, so fragte sie sich, wo wollte er mit dem leblosen Mann hin?
Luise Sander hatte zwar das sechzigste Lebensjahr längst überschritten, geistig allerdings war sie manchem Jugendlichen überlegen. Ihre Gedanken wirbelten, sie formten sich sogar zu einem Ziel, denn sie dachte sofort an den VW-Transporter, dessen Heckscheibe mit schwarzer Farbe bestrichen worden war.
Der war dafür ideal…
Noch stand Luise Sander in ihrem kleinen Lagerraum. Nicht mehr lange, sie drehte sich auf der Stelle, durchquerte ihn, wäre fast auf einem dicken Kohlblatt noch ausgerutscht, fing sich zum Glück und huschte in ihren Laden.
Automatisch drückte sie auf einen Lichtschalter, der die Hälfte der Beleuchtung zurücknahm. Jetzt brannte nur die Beleuchtung in den Regalen und an der Tiefkühltheke. Der vordere Bereich des Geschäfts lag im Dunkeln.
Nichts anderes hatte die Frau gewollt.
Sie ging davon aus, daß sie schneller den Laden durchquerte als der Mann die Einfahrt mit seiner Last. Sie würde ihn also aus der Einfahrt herauskommen sehen und dann…?
Ja, was sollte sie dann tun? Ihn einfach ansprechen und fragen, was er da tat?
Nein, das konnte sie nicht. Das war außerdem auch viel zu gefährlich. Der würde bestimmt aufs Ganze gehen und sie eiskalt niederschlagen oder noch andere Dinge in die Wege leiten.
Das ging also auch nicht.
Was dann?
Frau Sander wußte es nicht. Die alte Glastür des Eingangs war nicht abgeschlossen. Sehr vorsichtig zog sie die Tür auf und sah dabei, daß ihr Laden von zwei Männern passiert wurde.
Das waren die beiden, die auch Helmut Stoßflug besucht hatten, die Polizisten.
Die hatte ihr der Himmel geschickt, das war die Lösung. Sie mußte ihnen einfach von ihrer Entdeckung berichten.
Die beiden Männer hatten es eilig. Noch war der andere nicht erschienen.
Luise Sander hatte sich längst entschlossen. Sie lief den Männern einige Schritte nach und rief: »He, Sie, bitte, hören Sie…«
Und die beiden blieben stehen.
Dann drehten sie sich um…
***
Wir wußten jetzt Bescheid, zumindest hatten wir den Eindruck, Bescheid zu wissen. Die verfluchten Stasi-Vampire, die auch schon Dresden unsicher gemacht hatten, hielten sich in einer Burg versteckt, die vor der Wende als Stasi-Schule oder Ausbildungsstätte gedient hatte. Wir mußten sie finden, wir mußten hin, und das nicht erst morgen oder übermorgen, sondern möglichst noch an diesem Abend.
Zuvor jedoch wollten wir mit Helmut Stoßflug reden, einem Mann, mit dem der Fall hier begonnen hatte. Es gab auch einen zweiten Beginn, den hatte ich in London erlebt.
Dort hatte man mich an einen einsamen Treffpunkt bestellt. Ein gewisser Erich Meier hatte mir von vampirischen Aktivitäten im ehemaligen DDR-Schnüffeldienst berichtet, und ich hatte daran einfach nicht glauben können, bis der Mann beinahe vor meinen Augen umgebracht worden war.
Da wußte ich, daß es um verdammt viel ging.
Ich wollte die Spur in Germany aufnehmen, natürlich über meinen Freund Kommissar Harry Stahl.
Ob Zufall oder Fügung, ich wußte es nicht. Jedenfalls arbeitete Harry Stahl an demselben Fall wie ich, nur kam er von einer anderen Seite.
Er hatte eine Nachricht oder ein Protokoll darüber bekommen, daß ein Mann namens Helmut Stoßflug seine seit zehn Jahren verschwundene Frau
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