0727 - Mystic, der Maniac
brachte sie den Spiegel noch näher an Sukos Gesicht heran und drehte ihn sogar herum.
Da war ihr Gesicht.
Suko mußte es einfach sehen, und sie sprach ihn wieder an. Doch auch der Mund in dem Spiegelgesicht bewegte sich. Suko konnte nicht herausfinden, wer die Worte sagte.
»Du hast auch telefoniert, mein Freund…«
Es war eine Feststellung, die Suko allerdings nicht wahrhaben wollte. Er stemmte sich innerlich dagegen, er öffnete den Mund, er wollte Widerworte geben, aber er sah, wie sie den Kopf schüttelte und sich gleichzeitig der Blick ihrer Augen veränderte.
Er bekam einen Ausdruck, mit dem Suko nicht zurechtkam. So glatt und gleichzeitig grausam. Er bohrte sich in ihr Gehirn, er überlagerte seine Gedanken und transportierte die der Hexe in Sukos Kopf hinein, wo es plötzlich anfing zu summen, ein völliges Durcheinander herrschte, und er selbst nicht mehr zurechtkam. Sein Wille war zurückgedrängt und ausgeschaltet worden.
Es regierte allein Yannah mit ihrer geistig-magischen Macht. Sie hatte jetzt die Gewalt über Suko bekommen, und sie würde sie erst wieder abgeben, wenn sie es für richtig hielt.
Suko schwamm auf einer seltsamen Woge. Er konnte nicht mehr richtig unterscheiden, was nötig war. Er trieb weg, er hatte den Eindruck, in Sphären hineinzugelangen, die zu einer völlig anderen Welt gehörten. Und doch konzentrierte sich sein Empfinden auf zwei Dinge: auf den Spiegel und auf Yannahs Stimme!
Die blanke Fläche mit ihrem Gesicht darin kam ihm plötzlich übergroß vor. Auf das Doppelte oder Dreifache angewachsen, ein gewaltiges Bild auf einem Breitwandschirm, das alles überschwemmte, erst recht ihn, wo er sich so klein und winzig vorkam.
Ihre Stimme war da. Ein weiches Singen, ein Locken, und natürlich eine Frage. »Du hast es gesehen, Suko, du hast es verinnerlicht, daß ich die stärkere Person von uns beiden bin. Du solltest dich dagegen wehren, außerdem kannst du nicht mehr. Ich bin stärker, und du wirst mir alles sagen, weil du dich einzig und allein auf mich und meine Stimme konzentrierst. Versprichst du mir das?«
Suko sah in den Spiegel, wo sich das Gesicht sehr deutlich abzeichnete, und bejahte die Frage.
»Das habe ich nur hören wollen.« Der Mund verzog sich zu einem Lächeln, bevor aus ihm die nächste Frage drang. »Du hast doch sicherlich telefoniert, mon ami?«
»Ja, das habe ich.«
»Aus der Zelle?«
»Auch das.«
»Wer war es, den du angerufen hast?«
»Ein Freund.« Obwohl Suko nicht antworten wollte und sich tief in seinem Innern auch wie ein Verräter vorkam, konnte er nicht anders, als die Erwiderung zu geben, worüber die Weiße Hexe sehr froh war, denn ihr Lächeln wurde noch breiter.
»Jeder Mensch hat einen Namen, Suko. Da wird auch dein Freund keine Ausnahme machen, sage ich mal.«
»Das stimmt.«
»Wie heißt er denn?«
»John Sinclair…«
»Ho, er also. Na, das ist wunderbar. Ich kenne ihn sogar. Du bist ja mit ihm zusammen hier in Paris gewesen. Was hast du ihm denn so alles erzählt, mon ami?«
»Nicht viel.«
»Das Gespräch war lang, das weiß ich.«
Sie war mit ihrer Frage an eine Grenze gekommen. Suko fühlte sich trotz allem aufgewühlt. Er bewegte seine Handflächen über den Stoff der Hosenbeine und rieb sie dabei so heftig, als sollten sie Feuer fangen. Er war nervös, er war aufgeputscht, er konnte nicht mehr richtig denken, er wollte nicht reden, doch er brachte es auch nicht fertig, sich dem Willen der Person entgegenzustellen.
»Was hast du ihm gesagt, Suko?«
»Ich… ich…«
»Laß nur, ich werde dir helfen. Hast du ihn gebeten, wieder nach Paris zu kommen?«
»Ja!« stieß er hervor. »Ja, das habe ich getan. Ich habe ihn gebeten, zu mir zu kommen. Ich… ich…«
»Warum denn nicht gleich so, mon ami? Es ist doch die normalste Sache der Welt, daß sich Freunde so unterhalten.« Sie drückte sich auf ihrem Stuhl zurück, und ihr Gesicht nahm dabei einen lauernden Ausdruck an. »Sicherlich wird dir dein Freund John auch eine Antwort gegeben haben.«
»Ja, hat er…«
»Wie lautete sie?«
Suko antwortete wie ein Automat, obwohl er sich selbst dafür schämte. »Heute…«
»Der Tag ist lang. Wann landet er?«
»Mit der ersten Maschine aus London.«
Die Weiße Hexe lachte leise. »Das ist gut, mon ami, das ist sogar mehr als gut. Ich danke dir…«
Der Spiegel bewegte sich, und das Gesicht darin zuckte ebenfalls hin und her.
Suko mochte diesen Anblick nicht. Klimpernd bewegte er seine Augen, und plötzlich
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