0728 - Angst in den Alpen
sprachen flach, wie zwei Fremde, die sich erst vor kurzem kennengelernt hatten.
Daß der Zeitpunkt unmöglich war, wußte Trudi, nur konnte sie jetzt ihre Mutter nicht wegschicken.
Damit hätte sie sich verdächtig gemacht. Sie rechnete auch damit, daß ihre Mutter etwas ahnte, möglicherweise würde sie auf ihr Doppelleben zu sprechen kommen.
»Dann setz dich, Mutter!«
»Nein, ich bleibe stehen.«
»Wie du willst.« Trudi hob die Schultern. Sie wollte sich auch abwenden, damit aber war Margot nicht einverstanden.
»Bitte, bleib vor mir stehen, Trudi. Ich möchte, daß du mich ansiehst. Hast du verstanden?«
Die junge Frau lächelte. »Natürlich. Entschuldige. Ich wußte ja nicht, daß du so empfindlich bist.«
»Es hat damit nichts zu tun, Trudi. Es geht hier einfach um Dinge, die mir Angst machen.«
»Was ist das?«
»Das bist du, Trudi«
»Ich?« Sie zeigte mit ihrem Zeigefinger auf ihre Brust. »Wie kommst du denn darauf?«
»Man hat dich gesehen.«
»Aha, und wo?«
»Als du in das Spritzen- und Schützenhaus gegangen bist. Du bist ja hineingeschlichen, und das ist aufgefallen. Ich weiß, daß du dich dort mit dem Mann getroffen hast, der das Unglück brachte. Hast du den Toten gesehen, Trudi?«
Trotz stieg in ihr hoch. Sie würde auch bei der Wahrheit bleiben. »Ja, den habe ich gesehen, Mutter.«
Margot Lechner schluckte. »Und warum? Warum bist du in das Haus gegangen? Du hattest dort nichts zu suchen. Du kannst mir nicht erzählen, daß es dir Spaß bereitet, einer Leiche gegenüberzustehen und sie sich anzusehen.«
»Nein, das nicht gerade.«
»Warum hast du es dann getan?«
»Ich wollte mit dem Fremden reden!« Wieder klang Trudis Stimme trotzig. »Ich wollte Bescheid wissen. Ich wollte erfahren, weshalb er zu uns gekommen ist. Nicht mehr und nicht weniger Mutter. Ich bin alt genug, um allein entscheiden zu können.«
»Das bist du vom Gesetz her tatsächlich«, gab Margot Lechner zu. »Ja, du bist alt genug.«
»Schön, wo ist dann das Problem?«
Margot stand noch immer an derselben Stelle, und sie blieb auch dort stehen. Es sah so aus, als wollte sie ihrer Tochter den Rückweg abschneiden. »Alt genug bist du, das stimmt. Aber ich bin deine Mutter, und du lebst im Haus deiner Eltern. Ich will, daß du dich daran erinnert klar?«
»Ja.«
»Trudi, hör mir bitte zu. Es geschehen hier unheimliche Dinge. Ich habe vorhin mit deinem Vater sprechen können. Dieser… dieser Fremde hat ihn in das Spritzenhaus gezerrt. Er hat ihn zu dem alten Savini geschleppt. Er hat dafür gesorgt, daß dein Vater die Leiche anschauen konnte. Da traf ihn der Schock.«
»Hat er nie einen Toten zu Gesicht bekommen?«
»Darum geht es nicht, Trudi. Überhaupt nicht. Hier spielen andere Dinge eine Rolle. Der alte Savini war noch tot, aber seine Leiche hat sich verändert. Sie ist geschrumpft. Sie… sie wurde zu einem Zwerg, zu einem Gnom. Kannst du dir das vorstellen?«
Trudi Lechner schwieg und hob die Schultern.
»Also nicht?«
»Schon, aber…«
»Du kennst die alten Geschichten, Trudi. Du weißt genau, was hier vorgefallen ist. Es hat Tote gegeben, es wird immer wieder Tote geben. Du bist über das Schicksal und den Fluch informiert. Und du weißt genau, wie schwer es wir Menschen haben, gegen die alte Macht anzukommen. Wir haben uns auf sie konzentriert, wir werden nichts unversucht lassen, um die andere Seite nicht noch zu reizen, wir werden…« Margot Lechner redete sich in Rage. Sie war überhaupt nicht mehr zu stoppen, doch die Worte prallten an Trudi ab. Sie konnte darüber nicht lächeln. Für sie ging es um ganz andere Dinge. Längst hatte sie bemerkt, daß ihrer Mutter der Durchblick fehlte.
Schließlich unterbrach sie den Redefluß. »Aber das weiß ich doch alles, Mutter.«
»Gut, Trudi, ich hoffe, daß du dich danach richtest. Allmählich kommt der Abend. Ich kann dir nichts mehr verbieten, aber ich möchte, daß du hier im Haus bleibst. Nur hier bist du sicher. Hier stehst du unter dem Schutz des Herrgotts.«
Trudi nickte, obwohl sie nicht davon überzeugt war. Längst hatte sie das innerliche Kribbeln gespürt, und sie fühlte sich einfach wie aufgeputscht. Die Zeit war reif, sie war da, sie mußte nur mehr begriffen werden, aber nicht von ihrer Mutter, die würde damit nicht zurechtkommen, das stand fest.
Sie konnte ihrer Mutter auch nicht sagen, wie entscheidend die folgende Nacht sein würde. Das hätte sie niemals begriffen, da mußte man sehr behutsam vorgehen.
Margot
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