0728 - Angst in den Alpen
wahres Leben noch vor sich. Und es würde in der folgenden Nacht beginnen…
Für mich war natürlich der alte Savini interessant geblieben. Nur mußte ich einfach die richtige Zeit abpassen, und die kam erst, wenn sich die Dunkelheit über das Tal gelegt hatte.
So lange mußte ich warten, und ich verkürzte mir die Zeit im Roten Ochsen. Es war die Gastwirtschaft, die auch im Winter geöffnet hatte. Sie wurde von den Einheimischen frequentiert. An diesem späten Nachmittag war es nicht anders.
Dennoch war und blieb ich ein Fremder. Ich saß allein am Tisch. Niemand würde sich zu mir setzen, so daß ich mir vorkam wie ein Aussätziger, was meinem Appetit aber keinen Abbruch tat.
Ich hatte mir eine Bauernpfanne bestellt. Sie war mit mürrischem Gesicht vom Wirt persönlich serviert worden, denn die Bedienung machte einen Bogen um mich.
Der Stammtisch befand sich mir gegenüber. Er war besetzt. Den Tisch und die Bank hatte man in den Herrgottswinkel gestellt, denn über Eck hing ein altes Holzkreuz.
Hin und wieder trafen mich vom Stammtisch her Blicke. Einer hätte auch dort sitzen müssen, doch der Bürgermeister war in seinem Haus geblieben. Er wollte wohl nicht Gefahr laufen, mit mir reden zu müssen. Wenn ein Fluch über Glatsch lag, so war er für mich jedenfalls nicht spürbar. Die Männer unterhielten sich normal. Sie sprachen über den Winter, und manche ärgerten sich, daß sie nicht in Orten wie St. Anton oder St. Christoph lebten, wo bald das große Geld gemacht wurde.
An Glatsch lief der Skizirkus vorbei. Der Ort war für den Wintersport einfach nicht geschaffen. Man hätte schon große Einschnitte in die Natur machen müssen, und so etwas wäre unverantwortlich gewesen.
Das Essen schmeckte gut. Ein Auflauf aus Kartoffeln, Speck, Zwiebeln und Wurst.
Dazu trank ich ein Bier und schaute immer wieder aus dem nahen Fenster hinaus auf die Hauptstraße.
Glatsch war ausgestorben-. Die schmucken Häuser - im Sommer mit Blumen bedeckt - sahen traurig und braungrau aus. Vor der nahen Kirche parkten einige Autos. In einem Monat war Weihnachten.
An manchen Tannen schaukelten schon Lichterketten.
Die Menschen waren dick angezogen. Sie bewegten sich langsamer als sonst. Es kam mir vor, als hätten sie Angst. Als mein Teller leer war, kam der Wirt und räumte ab. Er fragte nicht einmal, ob es mir geschmeckt hatte. Der Mann wollte so schnell wie möglich wieder hinter seinen Tresen.
Ich bekam noch einen Schnaps serviert. Er hieß Berggeist und gehörte zum Essen.
Als ich das Glas geleert hatte, da kam es mir tatsächlich vor, als würden in meinem Magen Tausende von Geistern einen wilden Kampf ausfechten.
Ich zündete mir noch eine Zigarette an. Einige Minuten konnte ich noch warten. »Zahlen«, rief ich.
Der Wirt eilte herbei. Er war wohl froh, mich bald loszuwerden. Ich erkundigte mich wie nebenbei, ob es ihm auch gutging.
»Ja.«
»Und was geschieht mit dem Toten?«
»Weiß ich nicht.« Er nahm das Geld und ging. Dabei tauchte er ein in die Qualmwolke, die sich über der Theke verdichtete.
Eine laute Männerstimme schreckte auch mich auf. Vom Stammtisch erhob sich jemand. Es war ein kräftiger Kerl, der Ähnlichkeit mit Fritz Höller, meinem Führer hatte.
Tatsächlich hieß er auch Höller. Ich hörte, wie die anderen seinen Namen riefen, doch er ließ sich nicht beirren. Mit wuchtigen Schritten kam er auf meinen Tisch zu, strich das dichte Blondhaar zurück, bevor er beide Hände auf die Platte stemmte.
»Guten Abend«, grüßte ich.
»Es ist kein guter Abend.«
»Wieso nicht?«
»Ihretwegen.«
Ich hob die Schultern. »Was werfen Sie mir vor? Ich sitze hier, habe gegessen, getrunken und niemanden gestört. Warum sind Sie so aggressiv?«
»Das kann ich Ihnen sagen. Wir wollen nicht, daß ein Fremder hier herumschnüffelt.«
»Dafür habe ich sogar Verständnis. Nur gab es drei Tote in den vergangenen Wochen und heute auch schon zwei. Ist das nicht ein Grund, sich näher mit diesen Vorgängen zu beschäftigen. So sehe ich das wenigstens, Herr Höller.«
»Aber wir nicht.«
»Was stört sie?«
»Gehen Sie! Lassen Sie uns in Ruhe! Es ist schon genug Unheil geschehen. Was hier passiert, werden und müssen wir allein ausbaden. Wir brauchen keine Hilfe, erst recht nicht von einem Ausländer.«
Ich hob die Schultern. »Das ist seltsam. Sie wollen also nicht, daß die Taten aufgeklärt werden?«
»Das schon, aber nicht durch Sie. Wir werden mit unseren Problemen allein fertig. Setzen Sie sich
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