0728 - Lichter der Verdammnis
nicht? So schwer ist deine Verletzung doch nicht. Du kannst laufen, also kannst du auch - oder weißt du etwa den Weg nicht mehr? Ratten haben doch für gewöhnlich einen außerordentlichen Orientierungssinn!«
»Ratten… Nicht… Nein… Ich bin doch ein Mensch…«
Sie glaubt es wirklich, dachte er. Sie befindet sich geistig in einem Zwischenstadium. Über kurz oder lang wird sie den Verstand verlieren. Vielleicht sollte ich sie töten, wenn das alles hier vorbei ist. Das erspart ihr weitere Qualen, denn sie wird niemals wirklich ein Mensch sein können.
Skrupel, ein Leben auszulöschen, hatte dieser Sohn des Asmodis noch nie besessen.
Aber trotz all seiner Abgebrühtheit war er erschüttert. In den fünf Jahrhunderten seines Lebens war er noch niemals mit einem solchen Phänomen konfrontiert worden.
»Mach schon«, drängte er.
Sie schüttelte leicht den Kopf. »Das kann ich nicht«, wiederholte sie. »Ich darf es nicht tun, nicht ohne die Erlaubnis meines Herrn.«
»Dein Herr ist ein Dreck unter meinen Fingernägeln«, sagte Seneca kalt. »Das, was er ist, wurde er durch meine Gunst.« Das stimmte zwar nicht ganz, aber es konnte nicht schaden, ein wenig zu übertreiben, um das Rattenmädchen einzuschüchtern. Speziell, weil sie den Disput mit Calderone ja mit angehört hatte… »Also bring mich in jenen Raum!«
»Er wird mich töten.«
»Ich werde ihn töten«, erwiderte Seneca.
Das Mädchen sah ihn voller Zweifel an. In seinem geschwächten Zustand nach dem langen Kerkeraufenthalt machte er nicht gerade den Eindruck, als könne er seine Drohung wahr machen. Aber er ging bereits zur Tür. Sie war verriegelt! Dabei konnte er sich nicht erinnern, dass jemand sie abgeschlossen hatte. Er hatte auch nicht gehört, wie ein Schlüssel umgedreht wurde.
Er rüttelte heftig am Griff, trat gegen das Türblatt. Vergebens.
»Nun mach schon. Zeige mir, wie man hier raus kommt und jenen Raum erreicht!«, drängte er.
»Es wird mein Ende sein«, weinte das Rattenmädchen.
»Es wird dein Anfang. Der Anfang eines Lebens als Mensch«, lockte Seneca, »Wenn ich diesen Mistkerl umbringe, kann er dir dein Menschsein nie mehr nehmen und stellt für dich keine Bedrohung mehr dar.«
Noch zögerte sie. In ihren tränenfeuchten Augen zeichnete sich ein Kampf zwischen Hoffnung und Verzweiflung ab.
Dann tappte die Dunkelhaarige langsam der verriegelten Tür entgegen…
***
Rico Calderone hatte sich zurückgezogen. Er wollte Seneca etwas Zeit geben, sich mit der Ratte zu vergnügen. Er lachte bei der Vorstellung.
Die Pause kam auch ihm selbst zugute. Die Demonstration mit der Schusswunde hatte ihn Kraft gekostet. Die musste er erst wieder zurückgewinnen.
Er nahm den zusammengerollten Vertrag aus der Jackentasche und breitete ihn vor sich aus. Triumph erfüllte ihn. Es war der erste Dämonenpakt, den er geschlossen hatte - und dabei hatte er ausgerechnet den Sohn des Asmodis in seine Gewalt gebracht!
Kein schlechter Start!
Calderone war mit sich zufrieden.
Den Ju-Ju-Stab besaß er jetzt auch und damit eine wirksame Waffe, sich Stygia vom Leib zu halten und nicht nur sie, sondern auch andere Dämonen.
Leonardo de Montagne und Magnus Friedensreich Eysenbeiß waren Narren gewesen. Sie hatten Fehler gemacht. Calderone war nicht so überheblich, sich selbst als fehlerfrei einzuschätzen, aber aus den Fehlern der anderen konnte er lernen! Also auf keinen Fall ein heimliches Bündnis mit der DYNASTIE DER EWIGEN eingehen, wie Eysenbeiß es gemacht hatte, auch wenn Calderone über die Tendyke Industries die besten Kontakte haben konnte, wenn er nur wollte. Auch wenn er nicht mehr für die Firma arbeitete. Aber die connections waren da.
Doch in den Schwefelklüften blieb auf Dauer nicht viel geheim, so viel hatte Calderone in der Zeit als Stygias Vasall gelernt. Also ging er besser kein Risiko ein.
Stattdessen wollte er sich vor allem darauf stürzen, den wahren Aufenthaltsort von Astardis ausfindig zu machen. Satans derzeitiger Ministerpräsident war ein verdammter Feigling, der sich nie aus seinem Versteck herauswagte, sondern stets nur einen Doppelkörper aussandte. Wenn der getötet wurde, erzeugte Astardis einfach einen neuen.
»Aber das treibe ich ihm aus«, murmelte Calderone. »Ich werde ihn aufspüren und ihn selbst vernichten. Vermutlich ist er ein winziges Etwas ohne wirkliche Macht, sonst hätte er es nicht nötig, sich so zu verstecken. Warte nur, Freundchen - du sitzt auf dem Thron des Lucifuge Rofocale, aber
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