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0729 - Die Bestien von Las Vegas

0729 - Die Bestien von Las Vegas

Titel: 0729 - Die Bestien von Las Vegas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Stahl
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sich seine alten Knochen, wie ihm schien, von Jahr zu Jahr mehr sehnten.
    Und immer noch war da dieses Gefühl in ihm, als müsse er von etwas Abschied nehmen.
    Vom Interstate her drang das fast stete Dröhnen der Fahrzeuge, die entweder aus Vegas oder Kalifornien kamen oder dorthin unterwegs waren.
    Das Heulen der Kojoten war mit Anbruch des Tages verklungen.
    Hinter Yellowhorse, gedämpft durch die geschlossene Tür des Wohnwagens, raunte und rasselte nach wie vor der Airconditioner - oder vielmehr die ›Stimme‹ darin.
    Als er den Blick endlich zu Boden senkte, verstummte sie.
    Zu seinen Füßen stakste und krabbelte der Skorpion auf acht dünnen Beinen durch den Staub - hin und her, hierhin und dorthin, jedoch innerhalb der Grenze eines nur gedachten Kreises bleibend, der kaum die Länge eines Männerarms durchmaß.
    Dabei hatte das Tier seinen Stachel nach unten gekehrt und ritzte und pflügte mit der Spitze dünne Linien in den feinen Staub.
    Yellowhorse begriff, auch wenn es eigentlich unbegreiflich war: Der Skorpion schrieb.
    Und zwar Zeichen einer Schrift, die heute kaum noch jemand kannte.
    Vielleicht, ging es Yellowhorse durch den Sinn, bin ich sogar der Einzige, der sie noch kennt…
    ***
    Die Schrift der Steinalten, so hatte Wovoka, sein Großvater, sie genannt, der sie Yellowhorse auch beigebracht hatte.
    Sein Großvater, der noch die ›alten Pfade‹ gegangen war, wie er selbst die Praktizierung dessen genannt hatte, was in der Sprache der Weißen ›Schamanismus‹ hieß. Auch darin hatte Wovoka seinen damals noch sehr jungen Enkel unterweisen wollen. Wie man Kranke mit Hilfe der Geister heilte, Unheil fern hielt, Toten das Geleit gab und Künftiges kommen sah. Doch diesem Ansinnen hatte sich Wovokas Sohn, Yellowhorses Vater also, verweigert. Wohl auch deshalb war er mit seiner Familie nach New York gezogen, nicht nur, weil er sich dort einen guten Job im Skyscraper-Baugeschäft versprochen - und auch gefunden - hatte.
    Die Vergangenheit lebte vor Yellowhorses geistigem Auge wieder auf. Die Bilder kamen, ohne dass er sich wirklich bewusst daran erinnerte. Es war wie das ziellose Wühlen in einer Kiste mit alten Fotos.
    Er sah seinen Vater, der so ganz anders gewesen war als Großvater, genau genommen sogar das vollkommene Gegenteil. Er hatte nicht einmal einen indianischen Namen getragen, sondern sich Jack Wilson genannt, und mit den Traditionen seines Volkes nichts am Hut gehabt. ›Apfelindianer‹ hatte Wovoka seinen Sohn deshalb genannt: nur außen rot, innen aber weiß.
    Auf seine Weise jedoch war Jack Wilson ebenso ein Visionär gewesen wie sein Vater, nur weniger spirituell, als vielmehr praktisch. Er hatte den völligen Niedergang der amerikanischen Ureinwohner vorausgesehen und wollte seinen Sohn - und dessen Nachkommen - deshalb an ein Leben im Stile der Weißen gewöhnen. Und vielleicht hätte er Yellowhorse wirklich auf diesen Weg gebracht, wäre er nicht bei einem Sturz von einem Hochhausneubau ums Leben gekommen. Sein Sohn, zu der Zeit noch ein Teenager, war wenig später dem stummen Lockruf seiner alten Heimat erlegen und nach Nevada zurückgekehrt.
    Wovoka war zu jener Zeit bereits verstorben gewesen. Yellowhorse war hier auf diesen Hügel gezogen, wo er sich Wovoka aus irgendeinem Grunde nahe fühlte, und hatte sein Erbe gepflegt. Er hatte Dinge aus dem früheren Besitz seines Großvaters zusammengetragen, woraus sich im Laufe der Jahre eine wahre Sammelleidenschaft entwickelt hatte, und vor allem befasste er sich mit dem Schamanismus der Paiute - nicht in praktizierender Weise jedoch, sondern einzig auf wissenschaftlich-theoretischer Ebene. Unter anderem daraus machte er seinen Broterwerb, indem er darüber schrieb und publizierte sowie referierte, wie auch über die Historie und gegenwärtige Situation seines Stammes im Allgemeinen.
    In diesem Rahmen hatte Yellowhorse auch seine Kenntnisse über die Schrift der Steinaltenvertieit, aufbauend auf das Wissen, das ihm Wovoka einst vermittelt hatte. Er studierte alte Dokumente und suchte vor allem Orte auf, wo noch heute Aufzeichnungen in dieser Schrift zu finden waren - Höhlen und Schluchten etwa, in deren Wände die Zeichen vor urlanger Zeit geritzt worden waren. Allerdings hatte er es nie zur Fertigkeit seines Großvaters gebracht, der die alte Schrift fließend zu lesen und zu schreiben verstanden hatte. Weil ihn, wie er behauptet hatte, die Geister selbst in seinen Träumen unterrichtet hatten…
    Dennoch vermochte Yellowhorse

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