Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
0729 - Die Bestien von Las Vegas

0729 - Die Bestien von Las Vegas

Titel: 0729 - Die Bestien von Las Vegas Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Timothy Stahl
Vom Netzwerk:
die Schrift der Steinalten durchaus gut genug zu lesen, um den Sinn einer Mitteilung zu erfassen. Mehr war im Grunde auch kaum möglich, denn wörtlich übersetzen ließ sie sich nicht. Einfach deshalb, weil sie nicht auf Worten basierte, sondern auf teils stark stilisierten Bildern, Symbolen und Figuren sowie einer Vielzahl von Formen und Linien.
    Allein der Name, Schrift der Steinalten, bezeugte dies schon. Er war keine Übersetzung im herkömmlichen Sinne, sondern allenfalls eine sehr freie Übertragung, weil er sich eben der Krücke des Englischen bedienen musste. Eigentlich sollte er nur eines aussagen: dass diese Schrift sehr alt war. So alt, hatte Wovoka gesagt, wie die Ersten unseres Volkes - oder älter noch…
    Yellowhorse ließ sich mit knackenden Gelenken auf die Knie nieder, direkt an der imaginären Linie jenes Kreises, den der Skorpion mittlerweile zu einem gut Teil mit Zeichenfolgen der uralten Schrift gefüllt hatte. Das Tier war inzwischen sichtlich erschöpft, machte jedoch unermüdlich weiter, als wäre es besessen.
    Ben Yellowhorse atmete tief durch. Dann begann er die schwierige Lektüre…
    ***
    Die Schrift der Steinalten zu lesen bedeutete einen geistigen Kraftakt. Weil sie eben nicht im herkömmlichen Sinne zu lesen war, sondern gedeutet werden musste. Ihre Zeichen waren im Kopf umzusetzen, buchstäblich zu verbildlichen, wobei durchaus mehrere Allegorien für ein Symbol entstehen konnte. Das im jeweiligen Fall passendste Bild ließ sich durch die Verzahnung mit den vorherigen und nachfolgenden herausfiltern. Auf diese mühselige Weise ergab sich Teil um Teil das Gesamtbild, der Grundsinn des ganzen Schriftgefüges.
    Schweiß glitzerte im Frühlicht auf Yellowhorses Stirn, lief ihm durch die tief gefurchten Züge des Gesichts, das den Ausdruck tiefster Konzentration zeigte.
    Vielleicht wäre es einfacher gewesen, hätte sich die Schrift artikulieren lassen, doch das hatte, soweit er wusste, nicht einmal Wovoka vermocht. Zunge und Kehle des Menschen dieser Neuzeit waren zur Erzeugung solcher Laute nicht mehr geschaffen.
    So ließ er seinen Geist Bruchstück um Bruchstück des Geschriebenen gleichsam bergen und dann aneinander fügen.
    Es ging um einen FEIND.
    Um einen KOMMENDEN FEIND.
    Dieser Begriff war zu abstrakt, als dass Yellowhorse sich etwas darunter vorstellen konnte…
    FÜHREN… MEINE… GLIEDER…, entzifferte er dann, wobei »Glieder«, hier auch für »Diener«, oder »Helfer«, stehen konnte. Das Ganze war als Befehl dargestellt, wohl für den, der es las - für ihn, Yellowhorse, also. Trotzdem verstand er die Aussage nicht.
    Auch die nächste Zeichenfolge war ein Befehl.
    VERNICHTE DU… DIE SEINEN…
    »Seine Diener… oder Glieder?«, murmelte Yellowhorse halblaut. »Aber… w essen Diener…?«
    Die eigene Stimme, obschon nur leise, drohte seine Konzentration zu stören, und so schwieg er wieder.
    DES FEINDES LEIB…, las er dann. Das war vergleichsweise einfach gewesen, weil die Darstellung ziemlich eindeutig war. Im Weiteren wurde es wieder schwieriger, aber schließlich glaubte Yellowhorse, auch den Schlusssatz entschlüsselt zu haben.
    DES FEINDES LEIB NAHT… MIT FLÜGELN… AUS SILBER… UND LICHT.
    Diese Worte assoziierte in Yellowhorse das Bild eines Drachens, der entgegen der landläufigen Vorstellung eben nicht grün oder braun geschuppt war, sondern wie aus poliertem Silber wirkte, auf dem sich strahlender Sonnenschein gleißend spiegelte.
    Dann verdunkelte etwas die Sonne. Ein Schatten senkte sich auf Yellowhorse nieder.
    Und der Drache brüllte - direkt über ihm!
    ***
    Wie aus tiefstem Schlaf, aber noch nicht ganz aus dem Traum gerissen, sah Yellowhorse zum Himmel auf. Dorthin, wo sich einem Scherenschnitt gleich ein langer, dunkler Leib mit schlanken Schwingen vor die Sonne geschoben hatte.
    Das dröhnende Brüllen schien die ganze Welt erbeben zu lassen. In jedem Falle aber erzitterte der Boden unter Yellowhorse davon.
    Er kniff kurz die Augen zu, und als er sie wieder öffnete, hatte das dunkle Ding die Sonne passiert, und das Licht, das nun auf seine Haut fiel und sie glänzen ließ, entlarvte es als das, was es war.
    Ein Flugzeug. Eine Passagiermaschine, wie sie Tag für Tag zu Dutzenden in südwestlicher Richtung über Moapa hinwegschwebten, schon im Landeanflug auf Las Vegas.
    Yellowhorse wollte sich einen Narren schelten, doch er konnte es nicht. Denn kaum war der Schreck verebbt, knüpfte sein Denken die Verbindung…
    Eine Schrift oder Sprache, die

Weitere Kostenlose Bücher