0729 - Laurins finsteres Reich
naß, aber ihre Arme hingen ebenso nach unten, die Schultern waren eingesackt, der Blick stumpf ins Leere gerichtet, als wäre bei ihr kein Gehirn mehr vorhanden.
Ich hatte sie mehrere Male angesprochen und versucht, ihr meinen Plan zu erklären. Sie brauchte nur ein Messer zu holen und damit meine Stricke durchzusäbeln, aber das wollte oder konnte sie nicht. Margot hatte überhaupt nichts getan.
Sie stand nur da…
Ich bewegte mich auf dem verdammten Bauernstuhl, wobei ich versuchte, die Fesseln zu sprengen.
Ich wollte sie zumindest lockern, um dann einfach hervorrutschen zu können, doch auch das war unmöglich.
Dieser Karl Lechner war ein Meister seines Fachs gewesen. Er mußte früher Schinken eingerollt haben, ich bekam einfach nicht die Möglichkeit, die Stricke oder die Knoten zu lockern. Ich hing fest wie ein Hähnchen am Grill.
Und die Person, die mir hätte helfen können, stand neben dem Tisch. Sie starrte ins Leere. Wahrscheinlich war sie mit ihren Gedanken ganz weit fort.
Auch von ihrem Mann sahen und hörten wir nichts mehr. Nach dem heftigen Zuknallen der Außentür war es still geworden. Eine schlimme, bedrückende Stille, die schwer wie Blei zwischen den Wänden lag und mein Luftholen erschwerte.
Ich wartete auf ihre Reaktion.
Ich schrie sie an. »Frau Lechner!«
Da schrak sie zusammen. Langsam drehte sie sich mir zu. »Verdammt noch mal, holen sie endlich ein Messer und säbeln Sie mir die Stricke durch. Bewegen Sie sich! Das ist unsere einzige Chance!« Ich wußte nicht, was ich ihr sonst noch hätte alles sagen sollen, aber sie tat es nicht. Sie stand einfach da und schaute auf ihre Füße.
»Bitte…!«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, nein, das kann ich nicht. Karl hat es so gewollt und…«
»Ihr Mann hat unrecht!« unterbrach ich sie mit heftiger Stimme. »Warum glauben Sie mir nicht, verflucht?«
»Weil ich… weil ich…«
Sie verschluckte die nächsten Worte, und das nicht ohne Grund. Beide hatten wir das Schußgeräusch gehört, das vor dem Haus aufgeklungen war.
Ich hatte am Klang erkannt, daß Karl Lechner mit meiner Beretta geschossen hatte. Für mich stand fest, daß er auf einen zweiten oder dritten Zwerg gezielt war. Wenn andere sahen, daß er Artgenossen tötete, würde ihre Grausamkeit keine Grenzen kennen.
Schlimm…
Margot Lechner war aus ihrer Trance erwacht. Sie drehte mir den Kopf zu. »Was… was war das?«
»Ein Schuß, zum Teufel!«
»K… Karl?«
»Ja, wer sonst!« Ich holte röchelnd Luft. Der Druck, verursacht durch die Stricke, nahm zu. »Begreifen Sie jetzt, daß er sich in tödlicher Gefahr befindet und ich wahrscheinlich die einzige Person bin, die ihm helfen kann?«
Sie überlegte noch, dann nickte sie.
War es ein gutes Omen?
Ich wußte es nicht, ich konnte es nur hoffen, und ich sah, wie sie sich zur Seite bewegte. Mit den Bewegungen einer Mondsüchtigen ging sie auf den Küchenschrank zu, dessen Unterteil drei Schubläden in einer Reihe zeigte.
Die mittlere zog sie auf.
Ich hörte es klirren, was mir wiederum Hoffnung gab, denn es war kein Porzellan, sondern Metall.
Sie griff in die Lade hinein. Noch immer zu langsam für meinen Geschmack, wobei ich eigentlich hätte froh sein müssen, daß sie es überhaupt tat.
Dann hatte sie gefunden, was sie wollte.
Es war ein sehr langes und stabiles Messer. Ein Griff aus Holz, eine Klinge, die vorn an der Schneide eine Säge zeigte.
Damit kam sie auf mich zu.
Sie hielt das Messer halbhoch, die Klinge auch gedreht, so daß diese mal in den Schein der Deckenleuchte geriet und Lichtreflexe zauberte.
So kam sie auf mich zu.
Ich spürte einen Moment der Angst. Ihr Gesicht war so ausdruckslos, diesmal zeichneten sich nicht ihre Gefühle ab. Sie konnte durchaus auch durchdrehen und mir die Klinge mit einem Rammstoß in die Kehle drücken. Alles war möglich.
Ich trieb sie auch nicht mehr an, denn ich wollte sie auf keinen Fall verunsichern.
Sie umrundete mich, trat an meinen Rücken. Wenig später spürte ich die Bewegungen der Stricke.
Sie war dabei, sie etwas zu sich hin zu zerren und Lücken zu schaffen.
Dann säbelte sie mit der Sägeklinge daran. Sie zupfte, sie zerrte, sie riß, sie keuchte dabei, murmelte Worte, von denen ich kaum etwas verstand, doch ich unterstützte die Frau bei ihren Bemühungen und hätte jubeln können, als der erste, sich in Brusthöhe befindliche Strick zersprang. Er peitschte regelrecht weg, ich bekam wieder besser Luft und blieb starr hocken, während Margot
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