0729 - Laurins finsteres Reich
Mensch blicken. Die abgestellten Fahrzeuge hatten weiße Hauben bekommen, so daß ein Fabrikat aussah wie das andere.
Und sie trotzte ihm.
Diablita stützte sich auf ihre Lanze. Mittlerweile konnte ich auch die Spitze erkennen. Es war eine sehr böse Waffe, die leicht einen Menschen durchbohrte.
Sie war auf mich gerichtet.
Auch die Zwerge hatten sich gedreht. Ob sie ihre gefährlichen Waffen bereits in den Händen hielten, konnte ich wegen der miesen Sichtverhältnisse nicht erkennen, mußte aber davon ausgehen.
»Schon einmal hast du verloren, Diablita. Ich hoffe, du kannst dich noch daran erinnern.«
»Ja…«
»Gut, dann weißt du, was dir bevorsteht.«
Sie schrie und lachte mich zugleich an. »Nein, Sinclair, nein. Die Zeiten sind nicht nur andere geworden, sie haben sich auch verändert. Noch einmal falle ich nicht darauf herein. Du hast einige meiner Freunde töten können, aber nicht alle, verstehst du?«
»Ich sehe sie.«
»Und sie werden dich packen!« schrie sie mich an. »Ich habe es satt, mich hier…«
Ich ließ sie reden, ich ließ sie toben. Ich hatte bisher mein Kreuz mit der Hand verdeckt gehabt. Als Diablita einmal Luft holen mußte, ging ich vor.
Und diesmal lag mein Kreuz frei.
Es leuchtete im Schnee, und ihr Gesicht bewegte sich. Wahrscheinlich durchzuckte sie der Strom einer alten Erinnerung. Sie wußte jetzt Bescheid.
»Tötet ihn!«
Ich rief dagegen. Einen Satz nur, eine Formel, die mir schon mehrmals geholfen hatte. »Terra pestem teneto - Salus hic maneto!«
Da wurde die Nacht zum Tag!
***
Es wirkte auf mich so, als wären hundert Blitze zugleich eingeschlagen. Um uns herum tobte ein bleiches und gleichzeitig schrilles Wetterleuchten. Das Kreuz strahlte eine immens starke Kraft aus, ein Licht, eine Weiße Magie, die das böse in meiner Nähe zerstörte. Uns umgab ein gewaltiger, heller, zuckender Kreis aus Licht und fahlen Blitzen, die sich schräg legten und sich ihre Ziele suchten, als wären sie darauf programmiert worden.
Die Zwerge starben.
Sie zerfielen, sie zerglühten unter den heftigen Einschlägen und Trudi/Diablita stand im Zentrum.
Sie mußte mit ansehen, wie ihre Welt zerstört wurde.
Sie und ich bildeten das Zentrum. Ich aber wollte noch näher an sie heran.
Dazu reichten mir zwei Schritte.
Sie starrte mir ins Gesicht.
Ich schaute sie ebenfalls an.
Nein, das war kein Mensch mehr, das war nur mehr eine Projektion dieser Frauengestalt. Sie wirkte wie eine verzerrte Zeichnung, und das Kreuz nahm die Funktion eines Radiergummis ein.
Es vernichtete das Grauen.
Diablita gab es nicht mehr.
Der Körper löste sich auf, als wäre er unter den zahlreichen Schneeflocken weggeschmolzen.
Es gab auch die teuflischen Zwerge nicht mehr. Laurins Verfluchte würden nie mehr zurückkommen, ihr Reich war leer, und von einem Steingarten mit ebenfalls steinernen Menschen würde nicht mehr als die Erinnerung zurückbleiben. Wieder neue Geschichten, die an die nachfolgenden Generationen weitergegeben werden konnten.
Ich drehte mich um.
Der Schnee sah an dieser Stelle völlig zertrampelt aus. Die Zwerge hatten ihre Spuren hinterlassen, aber auch sie würden bis in wenigen Minuten von einer neuen Schicht bedeckt sein.
Dann waren sie und Diablita nur mehr Erinnerung…
***
Ich betrat das Haus der Lechners, ging in die Küche, wo Margot aufgestanden war und sich dann mit gefalteten Händen auf einen Stuhl gesetzt hatte.
Als sie mich sah, wußte sie nicht, was sie sagen sollte, doch die Fragen standen in ihren Augen.
Ich nickte nur.
Sie holte tief Atem. »Meine… meine Tochter auch?«
»Ja.«
Es dauerte etwas, bis sie sich soweit erholt hatte, daß sie eine Antwort geben konnte. »Soll ich jetzt froh darüber sein, daß es so gekommen ist, Herr Sinclair?«
»Ich denke schon.«
»Ja«, sagte sie, »ja…« Danach starrte Frau Lechner ins Leere, und es würde verdammt schwer für sie werden, mit diesem Schicksal fertig zu werden. Einen erwischte es immer. So schlimm es für die betreffende Person oder die Personen auch war, es hätte alles noch schrecklicher werden können, wenn es den Zwergen und ihrer Königin gelungen wäre, den Garten mit anderen Menschen zu füllen.
Als ich daran dachte, bekam ich eine Gänsehaut.
Die Nacht über würde ich noch in Glatsch bleiben, am nächsten Morgen meinen Leihwagen freischaufeln und versuchen, das Tal zu verlassen. Aber das lag noch so weit weg.
Margot Lechner stand irgendwann auf. Sie zog sich eine Jacke über. Ich
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