073 - Der Gehenkte von Dartmoor
führte. Der zweite verlassene Bahnhof liegt rund vier
Meilen von dem ersten entfernt.«
»Eigentlich
unerfindlich, warum man in dieser Einsamkeit Bahnhöfe angelegt hat.«
»Ich nehme
an, daß man sich nach dem Gelände richten mußte. Es hat ja keinen Sinn, eine
Bahnlinie zu bauen, die dann im Sumpf versinkt. Vielleicht hat man die
Reisenden und Güter von den umliegenden Ortschaften mit Bussen zu den Bahnhöfen
befördert. Fällt Ihnen übrigens etwas auf?«
»Ich weiß
nicht, was Sie meinen, Larry.«
»Wir hätten
eigentlich oben vom Steinbruch des Zuchthauses aus den ersten der beiden
Bahnhöfe sehen müssen. Er ist knapp anderthalb Meilen vom Steinbruch entfernt.
Doch das konnten wir nicht, einmal wegen des Nebels, zum anderen aber, weil
zwischen dem Steinbruch und dem Bahnhof etwa in der Mitte der Strecke ein
Wäldchen oder ein Gehölz liegt.«
»Und Sie
wollen jetzt mal die Bahnhöfe aufsuchen?«
»Hatte ich
vor. Ich hoffe, Sie kommen mit.«
»Natürlich,
Larry! Aber ich muß in Ihren Wagen steigen. Ich habe nämlich heute morgen
Inspektor Pain mit dem Bentley und Smith nach Princetown geschickt. Für einen
oder zwei Tage. Ich hoffe, er entdeckt dort mehr als alte Zähne.«
●
Der einsame
Bahnhof mitten im Moor machte einen grotesken Eindruck: grau, ungepflegt, von Schlingpflanzen
überwuchert; mit der kleinen, verfallenen Lokomotivenhalle und einem schiefen
Lagerschuppen, ohne Schienen, sah er aus wie sein eigenes Gespenst.
»Und trotzdem
scheint er bewohnt zu sein«, stellte Larry Brent fest, als sie sich in seinem
Lotus dem Bahnhof näherten.
»Ich sehe es,
ja, man hat einen hohen Stacheldrahtzaun um den ganzen Bahnhof gezogen.
Du lieber
Himmel, das ist der erste eingezäunte Bahnhof, den ich sehe!«
»Man kann es
noch an etwas anderem sehen, daß er offensichtlich bewohnt ist.«
»Was meinen
Sie? Sehen Sie vielleicht Rauch aus einem Schornstein steigen?«
»Das nicht.
Aber wollen Sie mal freundlicherweise nach der großen Uhr über dem
Bahnhofsgebäude sehen? Wie spät ist es dort?«
»Zehn Minuten
nach zehn!«
»Und was
zeigt Ihre Uhr an?«
»Dieselbe
Zeit.«
»Das heißt,
die Uhr geht! Warum? Wenn der Bahnhof wirklich verlassen wäre, dann würde sich
kein Mensch darum kümmern.«
Larry Brent
brachte seinen Wagen vor dem Stacheldrahtzaun zum Stehen. »Vorsicht, Edward!
Nicht berühren! Sehen Sie da das Schild? Hochspannung! Lebensgefahr!
Privateigentum!«
»Ja, und das
Tor im Zaun scheint mir ganz gut gesichert zu sein. Kein Zutritt für Unbefugte.
Lebensgefahr! Klingt nicht sehr einladend. Ich fürchte, aus unserer
Besichtigung wird nicht viel werden.«
»Mal sehen.
Man hat uns bemerkt. Da kommt jemand.«
Aus dem
Stationsgebäude, das etwa zwanzig Meter von dem Tor im Stacheldrahtzaun
entfernt war, trat der große, breitschultrige Mann im Doppelreiher und dem Koks
in der Stirn, dem Larry Brent an der Auffahrt von Parkinson Hall begegnet war.
»Ah, Mr.
Jonathan!« meinte Larry Brent. »Leider kein sehr einladender Mann.«
Der Mann trat
ans Tor, musterte Larry Brent und Higgins mit zusammengezogenen Brauen durch
den Stacheldraht und knurrte: »Was wünschen Sie?«
Chiefinspektor
Higgins setzte sein freundlichstes Lächeln auf. »Wir sind extra aus London
angereist, um uns mal die verlassenen Bahnhöfe anzusehen. Das ist ja immerhin
ein Kuriosum.«
Der Mann warf
ihm einen giftigen Blick zu: »Daraus wird nichts. Der Bahnhof gehört Sir
Charles Parkinson, falls Sie den Namen schon mal gehört haben. Und Sir Charles
wünscht keine Besuche. Das gilt ausnahmslos! Verstanden?«
Larry Brent
lächelte ihn an: »Sie scheinen hier offenbar die Bulldogge zu sein.«
Der Mann
wollte ihm eine grobe Antwort geben, als sich die Tür im Stationsgebäude erneut
öffnete, woraufhin die Krankenschwester mit dem kupferfarbenen Haar heraustrat
und herüberrief: »Mr. Jonathan! Die beiden Herren können ruhig für ein paar
Augenblicke hereinkommen und sich den Bahnhof anschauen. Das sieht ja sonst
aus, als hätten wir etwas zu verbergen.«
Der Mann
nickte unwillig: »Wenn Sie wünschen, Schwester Angelique.« Jonathan begann das
Tor zu öffnen und fügte hinzu: »Aber das Auto müssen Sie draußen lassen!«
Larry Brent und
der Chiefinspektor stiegen aus und gingen auf das Gebäude zu, ein Schritt
hinter ihnen der mißtrauische Mr. Jonathan. Die Krankenschwester lächelte ihnen
zu, wobei Larry Brent feststellte, daß sie wohl für jeden Mann etwas
Aufregendes hatte. Er murmelte etwas von
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