0730 - Der unheimliche Todesengel
Sie sah sich selbst in der Nähe dieser Gestalt, die einfach alles einnahm und einem anderen keine Chance geben würde.
Sie war groß und grausam, sie war ein Zeichen für Rache, Tod und Rücksichtslosigkeit. Sie würde kein Erbarmen kennen, und sie ging schließlich mit schweren, wuchtigen Schritten weiter, um eine Welt zu betreten, die nicht für sie geschaffen war.
Die Gestalt sollte in ihrem Pandämonium bleiben, sie hatte bei den Menschen nichts zu suchen.
Und doch ging sie weiter.
Sie zerstörte, sie vernichtete. Schon bald war sie von einem regelrechten Umhang aus Blut umgeben, der jeden ihrer Schritte begleitete und aussah, als wäre er echt.
Janina erlebte den Traum so echt mit, daß sie Tränen produzierte, die wiederum an ihrem Gesicht entlangrannen und es so aussehen ließ, als wäre mit einem feuchten Tuch darüber hinweggewischt worden.
Er kannte kein Pardon, er war nicht mehr der Schatten, der Angst einflößte, er war so real.
Janina saß umgeben von Leichen. Sie hatte sich auf die Knie fallen lassen und die Beine ausgebreitet. Die Arme halb in die Höhe gestreckt, die Handflächen gegeneinander gelegt. Trotzdem glaubte sie, daß diese bittende Geste nicht ausreichte.
Er kam immer näher.
Blut spritzte bei seinen Tritten auf, als er die Füße in die großen Lachen stieß.
Dann blieb er stehen.
Er schaute auf sie nieder.
Janina schrie, sie glaubte wenigstens zu schreien, und der schweißnasse Körper auf dem Bett warf sich von einer Seite zur anderen, erstarrte dann, als Janina erlebte, wie die Gestalt aus ihrem Traum das Schwert anhob und es über ihrem Kopf schweben ließ. Wenn er die Klinge jetzt nach unten schlug, konnte er sie mit einem Streich in zwei Hälften teilen.
Noch zögerte er.
Die Frau hatte die Augen verdreht. Irgend etwas zwang sie dazu, genau gegen das Schwert zu schauen, das ihr Leben beenden sollte. Warum sollte der Krieger ausgerechnet bei ihr Gnade walten lassen?
Noch einmal blickte sie in das wüste, grausame und von Narben durchzogene Gesicht. Sie sah die Augen, die ein kaltes Funkeln abstrahlten und wie Spiegel wirkten.
Das Schwert raste nach unten.
Blitzend wuchtig - und traf sie!
Janina schrie, sie wurde wach, und sie setzte sich ruckartig auf.
Kein Schwert mehr, keine Gestalt, keine Leichen, auch kein Blut. Dafür ein nachtdunkles Zimmer, in dem es feucht, muffig und auch nach ihrem Schweiß roch.
Nicht nur ihre Kleidung klebte am Körper, auch das Bettuch war durchgeschwitzt und das Laken ebenfalls. Sie wußte sehr schnell, wo sie sich befand, drehte den Kopf, weil sie von der Tür her ein scharrendes Geräusch gehört hatte.
Sie entdeckte einen schmalen, hellen Spalt, in dem sich zwei Gesichter abzeichneten.
Dort standen die beiden Viracochas und schauten in ihr Zimmer. Aber sie waren schnell wieder verschwunden, und Janina wußte selbst nicht, ob sie sich die Szene nur eingebildet hatte oder nicht.
Wie dem auch war, es ging ihr nicht gut. Sie fühlte sich erschöpft, als hätte sie selbst einen stundenlangen Kampf erlebt, der ihr die Kraft aus dem Körper gesaugt hatte.
Ihr Kopf sank nach vorn, der Blick flackerte, ihr Atem ging schwer und unregelmäßig. Mit dem klebrigen Ärmel ihres Nachthemds wischte sie über das Gesicht, ohne daß es trockener wurde.
Janina Ferry brauchte Minuten, um sich zu erholen. Man ließ sie in Ruhe. Die Stille eines Morgens umgab sie. Sie kannte das ja. Die Mauern des alten Hauses waren so dick, daß sie die Geräusche von außen fernhielten.
Allmählich fand Janina wieder zu sich selbst. Und natürlich kam die Erinnerung an ihren Traum zurück, der noch einmal in schneller Folge vor ihrem geistigen Auge ablief.
Wieder erschreckte sie sich. Wieder sah sie das Blut und auch die unzähligen Leichen.
Sie schauderte.
Die Gestalt war ihr bekannt vorgekommen. Nicht als Mensch, sondern zuvor, als sie noch als Schatten zu sehen gewesen war. Ein Schatten wie der unter der Zimmerdecke.
Sie schaute nicht hin. Ein Gesicht lag auf ihrem Nacken, das sie zwang, vor sich zu sehen. Sie spürte eine wahnsinnige Furcht vor der Wahrheit, aber sie konnte doch den Kopf drehen und einen Blick auf das Fenster werfen.
Dort hatte sich nichts verändert.
Nach wie vor durchbrach sein Viereck das Mauerwerk der Wand. Obwohl schon längst Tag sein mußte, schimmerte kaum Licht. Hinter der Scheibe verteilte sich das Grau, das diesen alten Hinterhof beinahe zu jeder Jahreszeit einnahm.
Sie machte Licht.
Wieder erhellte sich die Kugelleuchte
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