0730 - Der unheimliche Todesengel
wie ein allmählich aufgehender Mond. Der blasse Schein verteilte sich, aber er kroch nicht hoch zur Decke, um sie mit seinem Licht zu bestrahlen. Irgendwo auf dem Weg zwischen ihr und dem Boden versickerte er, als hätte ihn ein gewaltiges Maul verschluckt, um zu vermeiden, daß die einzelnen Motive des Gemäldes für menschliche Augen sichtbar wurden.
Janina Ferry schauderte, wie unter einem plötzlichen Windstoß. Im Zimmer war alles zu, weder die Tür noch das Fenster standen offen. Woher kam dann diese Kälte?
Janina nahm an, daß es ihr Unterbewußtsein war, das sich auf diese Art und Weise meldete. Wie eine Vorwarnung, ein Omen für den vor ihr liegenden Tag.
Sie kroch aus dem Bett.
Ja, es war kein normales Aufstehen, sie verglich es selbst mit einem Kriechen, als wäre dort eine harte Last, die sich in ihren Nacken gelegt hatte.
Ihr Atem ging schwer. Noch immer lag der Schweiß auf ihrer Stirn. Als sie in die Pantoffeln schlüpfte, zitterten selbst ihre Füße. Kalt kamen ihr die schlichten Schuhe vor.
Noch immer geduckt stand sie auf.
Ihr großes Sehnen galt einer kräftigen Dusche. Heiß und kalt, Wechselbäder, die mithalfen, die Erinnerung an ihren verdammten Traum zu löschen.
Das würde wohl kaum klappen.
Sie ging einige Schritte vom Bett weg. Bis zur Tür schaffte Janina es nicht, denn da war wieder ein Gefühl, das sie zwang, nicht nur stehenzubleiben, sondern gleichzeitig den Kopf anzuheben, ihn noch zu drehen, so daß sie gegen die Decke schauen konnte.
Der Anblick traf die junge Studentin wie ein wuchtiger Hieb, und sie zuckte sogar zusammen.
Das Bild unter der Decke sah nicht mehr so aus wie früher. Es hatte sich radikal verändert.
Eine Figur fehlte.
Es war der Schatten!
***
Janina Ferry, sonst wirklich nicht auf den Kopf gefallen, stand auf dem Fleck und wußte nicht, was sie denken sollte. Ihr war kalt, die Haut zog sich zusammen. Janina litt und krümmte sich noch im Stehen. Angst durchflutete sie, hinter ihren Schläfen hämmerte es. Obwohl sie in einer gebückten Haltung auf dem Fleck stand und sich innerlich vereist fühlte, zuckten doch die schrillen Gedanken durch ihren Kopf, und sie dachte daran, daß es aus war.
Die Magie hatte gesiegt. Sie hatte es geschafft, den Schatten zu lösen, und es würde das eintreten, was sie in ihrem fürchterlichen Alptraum gesehen hatte.
Es war zuviel für sie.
Beide Hände schlug sie gegen ihr Gesicht, als wollte sie nichts anderes mehr sehen. Dann wankte sie mit zittrigen Schritten zurück, weil sie sich setzen mußte. Das Bett kam ihr am sichersten vor.
Sie fiel darauf nieder, hörte das leise Knarren der Matratze und ließ im Zeitlupentempo die Hände sinken.
Die Gestalt war weg, einfach verschwunden. Es gab sie nicht mehr, irgend jemand hatte sie zerstört, einfach ausradiert oder aber sie zum Leben erweckt.
Ja - wie in ihrem Traum!
Der Gedanke daran trieb abermals die kalte Furcht in ihr hoch. Als sie noch einmal zur Decke schaute und sich dabei auch mehr Zeit ließ, da sah sie, daß die Stelle, wo der Schatten einmal gewesen war, doch nicht so frei lag. Schwach zeichneten sich dort Wellen und Linien ab, die sich zu einer monströsen Figur des Schreckens vereinigten.
Was war nur los?
Nicht allein mit ihr, sondern mit diesem ganzen verdammten Haus, in dem sie wohnte? Waren hier denn alle verrückt geworden, die Viracochas einschließlich?
Oder lag es allein an ihnen?
Genau in dieser Minute begann sie damit, ihre Vermieter mit anderen Augen anzusehen. Sie dachte über sie nach, über ihr Verhalten und versuchte, sich an Unregelmäßigkeiten zu erinnern, die sie möglicherweise gezeigt hatten.
Nichts davon traf ein.
Okay, manchmal waren sie kauzig gewesen, hatten auch mal Reden über andere Götter gehalten und sogar davon gesprochen, daß sehr bald die Zeit eines Götzen anbrechen würde und jemand zurückschlug, um sich zu rächen, doch Janina hatte es als das Geschwätz alter Leute abgetan, sonst nichts weiter.
Nun nicht mehr.
Die Viracochas waren keine Briten. Sie stammten aus Südamerika, und zwar aus den Anden. Sie hatten in Peru gelebt, waren aber schon in jungen Jahren von dort verschwunden. Über den Grund hatten sie sich nie ausgelassen.
Wenn sie unter sich waren, redeten sie in ihrer Heimatsprache, wobei es kein reines Spanisch war, sondern eher ein Dialekt, der auch von einem Eingeborenen hätte gesprochen werden können.
Seltsam, dachte sie, daß sie sich jetzt an Kleinigkeiten erinnerte. Sie legte diese
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