0734 - Dem Wahnsinn nahe
atmete er aus, schüttelte den Kopf, hielt aber den Mund und holte den von einem geschliffenen Facettenmuster bedeckten Bernsteintropfen hervor, der in das Licht hineinschaukelte und golden ausstrahlte.
Der Reflex wanderte durch mein Gesicht und blendete mich.
Suko kam auch näher. Ich sah es als beruhigend an, wenn er in meiner Nähe blieb.
Er lächelte. »Fühlst du dich gut?«
»Ich bin voller Neugierde.«
»Ich auch.« Er streckte mir die Hand entgegen. Meine klatschte dagegen, als ich Abschied nahm.
Ich war innerlich darauf eingestellt, mich hypnotisieren zu lassen. Ich wollte mich nicht wehren, mich nicht dagegenstemmen, und ich hoffte auch, es erleben zu können. Das heißt, Gefühle zu tanken und zu behalten, die mich während des anderen Zustands überkamen.
Dabei würde mich Hugo Westlake an der langen Leine halten. Nur er konnte mich wieder zurückholen oder mich fahren lassen. So war es ja bei einer Hypnose. Der in Trance liegende Mensch hatte in dem Hypnotiseur eine Kontaktperson, der er sich voll und ganz ausgeliefert hatte. Die mit ihm machen konnte, was sie wollte. Suko trat zurück. Für mich sah es aus, als würde er von der Dunkelheit aufgesaugt.
Stille.
Ich holte tief Luft. Westlake saß auf dem Bett. Er hielt die Kette fest, an der der Stein hing.
Auch ich betrachtete den Bernstein. Er schwebte vor mir. Dahinter malte sich Westlakes Gesicht ab, von dem kaum mehr zu sehen war als ein blaßbleicher Fleck, den irgend jemand in die Finsternis hineingemalt hatte.
Ich wartete…
Sekunden vergingen. Die Luft auf dieser Bühne kam mir noch intensiver vor. Ich nahm jeden Geruch wahr, sah den Staub innerhalb der Lichtstrahlen wie einen flirrenden Vorhang ohne Anfang und Ende. Seit meinem Erscheinen hier hatte ich den Ort nie so intensiv erlebt wie in diesen Augenblicken. Da schien sich mein Bewußtsein verändert zu haben, als wollte es mir noch einmal zeigen, wie interessant das Leben doch war, von dem ich Abschied nehmen mußte.
»Fertig?« fragte Westlake.
»Sicher.«
Sekunden vergingen. Hugo atmete, dann sagte er: »Sie werden sich jetzt auf mich konzentrieren, John, nur auf mich und meine Stimme. Ihr allein werden Sie gehorchen. Wenn ich sage, stehen Sie auf, dann werden Sie aufstehen. Wenn ich sage, gehen Sie weg, dann werden Sie weggehen. Nur meine Stimme ist für Sie wichtig, alles andere spielt keine Rolle mehr. Nur ich, verstehen Sie? Nur ich. Und wenn ich sage, daß Sie erwachen sollen, dann werden Sie erwachen und alles andere vergessen haben, das hinter Ihnen liegt. Haben Sie das verstanden, John?«
»Ja, ich habe verstanden.«
»Das ist gut, dann kann ich Ihnen zeigen, was ich hier in der Hand halte. Es ist Ihre Sonne, die Sie durch die Dunkelheit begleitet. Sie wird der Schutz auf ihrer langen Reise sein. Die Sonne wird Ihnen Wärme und Kraft geben, die Sonne wird für Sie allein dasein. Sie werden sich auf die Sonne ebenso konzentrieren wie auf meine Stimme. Beides zusammen wird für Sie die Insel sein, auf der Sie sich bewegen. Sie und ich werden Sie jetzt zurückführen, und Sie werden versuchen, uns das mitzuteilen, was Sie sehen.«
»Ja, ich versuche es.«
»Das ist gut, John…«
Ich hatte ihn gehört, sehr gut sogar, denn jedes seiner Worte dröhnte in meinen Ohren, und es war zudem für mich auch so etwas wie ein Befehl, dem ich mich nie widersetzen würde.
Ich hatte die Augen offen. Ich sah die ›Sonne‹, ich sah dahinter den hellen Schatten des Gesichts.
Ich hörte die Stimme, die sehr intensiv war, und ich hatte so gut wie möglich meinen eigenen Willen ausgeschaltet, weil ich mich voll und ganz in die Hände dieses Mannes begeben hatte. Schon oft hatten Feinde versucht, Einfluß über mich zu gewinnen, es war ihnen nicht immer gelungen, weil ich das Kreuz besaß und mich auch wehren konnte. Hier aber gab ich mich freiwillig hin und ließ mich von seiner Stimme wegtragen.
Mein Sichtfeld war eingeengt. Was sich rechts und links vom Stein und Gesicht abspielte, konnte ich nicht sehen. Dort lag die Finsternis wie schwarze Watte, selbst das helle Licht der Scheinwerfer wurde von der Dunkelheit verschluckt. Es gab nur die Sonne, ihn und mich.
Ich hörte seine Worte, ich merkte, daß sie für mich ein Credo waren und einlullten.
Ich schwamm weg…
Es war alles anders geworden. Ich kam mir vor wie in einer gewaltigen Halle, bei der ich keine Grenzen sah, dafür jedoch die Stimme Hugo Westlakes hörte, die mich begleitete, wie ein Schienenpaar den
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