0737 - Kreaturen der Finsternis
Licht fiel durch zwei Fenster in den Flur, die sich gegenüber lagen. Sie zauberten ein blasses Muster auf den Holzfußboden und ließen die unzähligen Staubteilchen flimmern wie winzige Goldpartikel.
Jiris Zimmer lag auf der linken Seite, das andere auf der rechten. Und dessen Tür war nicht ganz geschlossen.
Befand sich der Gast im Zimmer, oder hatte er einfach nur vergessen, die Tür zu schließen?
Jiri wollte es genau wissen. Wenn er sich vorstellte, daß er bald einer Kreatur der Finsternis gegenüberstand, bekam er feuchte Hände, und auch sein Herzschlag beschleunigte sich.
In ihm war der Jagdeifer erwacht.
Den Rucksack stellte er zunächst ab, öffnete ihn aber und räumte die Axt nach oben. Dann ließ er die Klappe mit den Lederriemen wieder zurückfallen, so daß es auf den ersten Blick aussah, als wäre der Rucksack noch geschlossen.
Aus dem Nebenzimmer hörte er nichts. Er näherte sich der Tür auf Zehenspitzen.
Sie stand so weit offen, daß er einen Teil des Raumes überblicken konnte.
Schweiß trat ihm aus den Poren. Die Luft hier oben war kaum zu atmen.
Dann hörte er die Geräusche.
Schmatzen und schlürfen, als wäre jemand dabei, sein Mahl gierig zu verschlingen.
Er schüttelte sich.
Die Geräusche blieben. Hin und wieder unterbrochen von einem tiefen Rülpsen.
Da aß tatsächlich jemand.
Die alte Frau?
Er hörte ein Knurren, dann riß etwas entzwei, und ein Gegenstand wurde auf den Boden geworfen.
Er konnte die Person nicht sehen, wollte aber wissen, wer sich dort aufhielt. Die Axt ließ er im Rucksack.
Er verließ sich noch auf sein Messer.
Mit den Fingerspitzen berührte er die Tür und drückte sie vorsichtig weiter auf. Zum Glück war sie gut geölt. Das leise Knarren störte ihn erst dann, als die Tür zur Ruhe kam.
Er schaute hinein.
Jiri konnte jetzt besser sehen, und sein Blick fiel von der Seite her auf eine am Tisch sitzende und essende Frau. Das wäre nichts besonderes gewesen, allein die Tatsache, wie und was sie aß, gab ihm den Beweis, daß er es mit einer Kreatur der Finsternis zu tun hatte.
Sie aß rohes Fleisch!
Zwischen ihren Händen hielt sie ein Kaninchen, das nur zur. Hälfte enthäutet war. Blut tropfte in regelmäßigen Abständen auf einen Teller mit Knochenresten. Blut verschmierte den Mund der Kreatur.
Jiri schüttelte sich.
Gleichzeitig stieg der Haß in ihm hoch, denn er wußte genau, wen er da vor sich hatte. Auch das relativ hohe Alter der Person konnte ihn nicht täuschen, und sie befand sich in einem Zustand, den Jiri nur als Übergang ansah.
Halb Mensch, halb Kreatur!
Unter dem menschlichen Gesicht schimmerte ein Wolfsmaul mit langen Zähnen, und immer dann, wenn sie in das Fleisch hineinbiß, sprangen diese Zähne wie Greifer ein Stück vor und rissen daran.
Die grünlichgelben Augen blickten böse und gierig. Die Kreatur hielt den Kopf gesenkt und schlug ihre Zähne immer wieder in das Fleisch. Dabei schlürfte und schmatzte sie weiter, gab diese Laute der Zufriedenheit und des Vergnügens ab.
Sie hatte Jiri noch nicht gesehen. Zu sehr war sie damit beschäftigt, das Kaninchen zu verschlingen.
Sabka ging einen Schritt zurück. Er wollte noch einmal die Treppe hinabschauen. Über den Stufen der Stiege tanzten nur die unzähligen Staubpartikel. Es war keiner da, der den Weg hier herauf gefunden hätte. Er und diese Frau waren allein.
Gut so…
Jiri ging wieder vor.
Er nahm jetzt keine Rücksicht mehr, dämpfte die Schritte nicht und druckte die Tür nach innen.
Da saß die Frau.
Sie schaute auf.
Jiri Sabka zog sein Messer…
***
Keiner tat etwas. Das Schweigen stand zwischen ihnen wie eine mächtige Wand.
Sekunden vergingen in dieser beklemmenden Stille. Der frische Blutgeruch überlagerte die Hitze.
Im letzten Augenblick hatte es die Frau geschafft, sich zu verändern. Das Schreckensgesicht hatte sie zurückgezogen, das war während eines Lidschlags geschehen, und nun präsentierte sie sich dem Eindringling als völlig normales Wesen. Sie war es auch, die die Bewegungslosigkeit unterbrach.
Mit einer schon zärtlich und vorsichtig anmutenden Geste legte sie das angekaute Stück Fleisch zurück auf den Teller.
Wie alle Kreaturen der Finsternis - abgesehen von dem Blut - sah auch sie nicht so aus. Ihr Haar war schwarz und lag dicht auf dem Kopf. Graue Strähnen durchzogen es wie alte Eisbahnen. Über die wabbelige Figur hatte sie einen Kittel aus grünem Stoff gestreift. Die Farbe irritierte Jiri Sabka.
Jeder hätte sie für
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