074 - Echse des Grauens
übersättigt. Von dem Kram
haben sie schon zuviel gelesen. Porno- und Sexskandale interessieren kaum noch.
Jedes zweitrangige Blatt walzt das Thema aus. Man braucht mal wieder etwas ganz
anderes, ’nen richtigen Knüller.«
»Vielleicht solltest du mal was über die Vergessene
Stadt schreiben.« Sie sagte es einfach so dahin. Die Reaktion ihres
Freundes war mehr als verwunderlich.
» Vergessene Stadt ? Wie kommst du gerade darauf?
Das wäre natürlich ein Ding.«
»Gibt es denn so etwas?«
»Caldwell hat darüber geschrieben. Schon vor Jahren.
In seinem Buch Wir hatten Besuch aus einer anderen Welt behauptet er,
daß mindestens vor 13.000 Jahren außerirdische Besucher auf der Erde landeten,
um sich über die Spuren einer Rasse zu informieren, die Jahrtausende davor hier
Fuß gefaßt hatte und aus deren Hinterlassenschaft offenbar Erkenntnisse
gewonnen werden sollten. Caldwell nennt unter anderem die Vergessene Stadt , in der dämonische Mächte existierten, welche die Besucher
aus dem All einer unvorstellbaren Gottheit opferten. In allen Naturreligionen
primitiver Völker glaubt Caldwell Spuren dieser oder ähnlicher dämonischer
Gottheiten wiederentdeckt und in den für uns Zivilisierte oft undurchschaubaren
Riten Formen festgestellt zu haben, die auf eine prähumane Rasse zurückgehen.
Er wurde verlacht, sein Buch als Unsinn abgetan. Die Forscherwelt
verdammte ihn in Grund und Boden. Das war vor
zehn Jahren. Heute spricht kein Mensch mehr von Caldwell oder seinem Buch. Er
und seine phantastischen Überlegungen sind vergessen. Man bezeichnete ihn als
Scharlatan, und damit hatte es sich. Ich aber muß gestehen, daß mich die
theoretische Annahme einer Stadt der Dämonen auf Erden immer fasziniert hat.
Aus diesem Thema ließe sich etwas machen. Aber
man benötigt dazu eine Menge hieb- und stichfestes Material.«
Je länger Perry Muthly erzählte desto unsicherer
fühlte sich Agatha Stancer. Als er schwieg, berichtete sie von Gadocks Fieberphantasien.
»Es hat fast den Anschein, als hätte er das, wovon er dauernd spricht, wirklich
gesehen. Er gibt Details an, Perry.« Sie merkte, daß sich ihre Haut plötzlich
zusammenzog, als würde sie jemand mit einer kalten Hand berühren.
»Das ist ungeheuerlich.« Perry Muthly konnte sein
Interesse und seine Erregung kaum verbergen. »Weiter, Agatha!«
»Da gibt’s nicht viel weiter zu erzählen. Du nimmst
die Dinge doch nicht ernst?«
»Das kommt darauf an. Den Mann muß ich sprechen.«
»Das geht nicht, Perry. Er ist so gut wie nicht
ansprechbar.«
»Aber das kann sich ändern. Wie lange hast du Dienst?«
»Ich komme um sechs Uhr morgen früh hier raus.«
»Solange bin ich mindestens auch wegen der
Rauschgiftsacheunterwegs. Aber nach sechs könnte ich in die Klinik kommen.«
»Harriet hat dann Dienst. Ich werde ihr sagen, daß du
Gadock sehen möchtest. Sie wird dich zu ihm lassen.«
»Okay.«
Sie plauderten noch über einige persönliche Dinge.
Dann mußte Agatha auflegen, weil sie ein Signal in ein Krankenzimmer am Ende
des Korridors rief.
Die Nacht verlief ohne besondere Vorkommnisse.
Agatha versah aufmerksam ihren Dienst. Sie ging öfter
in Gadocks Zimmer, aber er lag unverändert im Fieberschlaf und war unruhig.
Der Morgen graute.
Agatha versah routinemäßig die Abschlußarbeiten,
teilte Thermometer aus und weckte die Patienten. Dann kam die Ablösung.
Harriet Snile war einige Jahre älter als die
dunkelhaarige Kollegin, ein etwas rauh wirkender Typ mit hartem Mund, aber
nicht unsympathisch.
Agatha verabschiedete sich von der Kollegin, nachdem
sie darauf hingewiesen hatte, daß ihr Freund Perry Muthly voraussichtlich mal
kurz in das Krankenzimmer hereinsehen wollte.
Sie wünschte Harriet Snile noch einen schönen Tag,
schlüpfte in ihren Mantel, den sie einfach über ihre Schwesterntracht zog und verließ
die Midland Clinics. Mit einem dunkelroten Mini-Cooper fuhr sie wenig später
durch Liverpool. In ihrer Wohnung in der Bakerstreet warf sie achtlos ihre
Handtasche auf den Schrank, schlüpfte aus dem Mantel und gähnte herzhaft. Dann knöpfte sie den Kittel ihrer Tracht
auf, als sie merkte, daß etwas in der Tasche steckte.
Es war der alte, in New York gedruckte Kalender, den
Oliver Gadock ihr geschenkt hatte.
Daran hatte sie gar nicht mehr gedacht. Auch Perry
gegenüber erwähnte sie davon kein Wort.
Mechanisch fing sie an zu blättern. In kleiner
verschnörkelter Schrift war Seite um Seite gefüllt. Im ersten Moment glaubte
Agatha Stancer,
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