074 - MARBU - Die Kraft des Todes
hingegeben hatte. Gearbeitet hatte er ja kaum noch. War das die Rechnung für nicht geleistete Dienste, die ihm Marbu nun präsentierte?
Auf dem Podium stand ein breitschultriger Mann. Er trug schwarze lange Hosen aus glänzendem Leder. Sein Oberkörper war nackt. Eine rote Kapuze verhüllte seinen Kopf.
Auf ein großes Beil gestützt, wartete er auf den Delinquenten.
Bordman wurde auf die Holzstufen zugestoßen, die nach oben führten. Er stolperte, und weil ihn die beiden Männer losgelassen hatten, stürzte er.
Mit beiden Händen klammerte er sich an eine der Stufen.
»Weiter!« wurde ihm befohlen.
»Ich… kann nicht…«
»Steh auf!«
»Ich bin am Ende meiner Kräfte!«
Sie wandten wieder Gewalt an, zwangen ihn auf die Beine und übergaben ihn schließlich dem Höllenhenker. Das Metall des Beils blinkte, als würde es das Licht eines starken Scheinwerfers reflektieren.
Bordman wurde befohlen, sich niederzuknien. Als er nicht sofort gehorchte, warf ihn ein Faustschlag vor dem Richtblock auf die Knie. Das harte Holz hatte in der Mitte eine Vertiefung für den Hals…
Tränennaß waren die Augen des Schriftstellers. Er hörte, wie die Menge seinen Kopf forderte, sah hinter dem Richtblock den geflochtenen Weidenkorb, der halb mit Sägemehl gefüllt war, und wünschte sich, in diesem gauenvollen Augenblick ohnmächtig zu werden.
Man drückte ihn nach vorn. Ekel durchtobte ihn, als er mit dem Richtblock in Berührung kam. Wie viele mochten schon vor ihm hier ein gewaltsames Ende gefunden haben?
Bordman sah, wie sich der Henker bewegte.
Endlich glaubte Bordman zu begreifen. Das war Marbus Strafe, weil er faul und genußsüchtig geworden war, weil er von der Aufgabe, die ihm übertragen worden war, nichts mehr wissen wollte. Marbu ließ sich das nicht bieten. Jemand anders würde das Buch der Bücher fertigschreiben. Vielleicht Vicky Bonney? Es war für Marbu bestimmt nicht schwierig, sie dafür einzuspannen.
Bordmans Fehler war es gewesen, sich für unentbehrlich zu halten. In diesem Augenblick erkannte er, daß er das absolut nicht war. Marbu konnte das Manuskript fortbringen und anderswo von jemand anders fertigschreiben lassen.
Der Höllenhenker hob das Beil.
»Ich bereue!« schluchzte Paul Bordman. »Hätte ich doch nur die Möglichkeit, zu beweisen, wie ernst es mir damit ist.«
Der Höllenhenker schlug zu. Bordman schloß entsetzt die Augen und brüllte seine Todesangst heraus.
***
Anderntags herrschte eine gespannte Atmosphäre. Niemand redete viel. Colin Nabors und Don Sillock würdigten einander keines Blickes. Mir ging Sillock ebenfalls aus dem Weg, doch ich spürte hin und wieder zwischen meinen Schulterblättern seinen haßerfüllten Blick. Wenn ich mich umdrehte, schaute Sillock schnell woanders hin.
»Sillock hat dich seit gestern ganz besonders fest in sein Herz geschlossen«, bemerkte Mr. Silver.
»Ich weiß«, sagte ich. »Ich denke, ich werd's überleben.«
»Das hoffe ich. Ich würde ihm an deiner Stelle nie mehr den Rücken zukehren. Dem Mann könnte etwas verdammt Unangenehmes in den Sinn kommen.«
»Ich werde deinen Rat beherzigen.«
Wir stiegen in die Faltkanus. Samantha Karras schoß Fotos. Don Sillock filmte. Wir rangen dem Urwald Kilometer um Kilometer ab. Immer wieder dachten Krokodile, wir wären eine leichte Beute für sie, und einmal ließ sich eine lange dicke Schlange von einem Ast, der über den Fluß ragte, in das Boot der schwarzen Träger fallen. Sie gerieten dabei so sehr in Panik, daß ihr Kanu mitsamt der Ladung beinahe untergegangen wäre.
Wie von Sinnen schlugen sie auf das Reptil mit ihren Rudern ein, und mit einem Ruder hoben sie die Schlange dann hoch und warfen sie ins Wasser.
Aber das war der einzige Zwischenfall auf unserem Weg zum Kigussi-Gebiet.
Irgendwann nahm ich ein dumpfes Brausen war. Es erfüllte den Urwald, wurde lauter und schließlich zu einem Rauschen und Dröhnen.
Die Luft kühlte merklich ab. Der Dschungel bildete eine Art Kessel, in den wir vorstießen, und dann ragte vor uns unvermittelt ein etwa hundert Meter hoher Wasserfall auf.
Er war breit und schimmerte weiß inmitten der üppigen grünen Natur. Enorme Wassermassen stürzten herab, rauschten, brausten, tosten. Dünne Wasserschleier flogen uns entgegen, und ein wunderschöner Regenbogen leuchtete in allen Farben. Wie eine Kuppel spannte er sich über dieses idyllische Bild.
Fast hätte man vergessen können, wie gefährlich es in diesem Paradies war.
Wir zögen die Kanus
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