0741 - Im Haus der Ghouls
Geräusch. Es war ungewöhnlich still in diesem Bau. Das kannte er eigentlich auch nicht.
Normalerweise hatte er immer etwas gehört. Stimmen, Geräusche, das Schlagen von Türen, manchmal auch Musik.
Hier war es ruhig wie auf einem alten Friedhof.
Sekunden später nicht mehr. Da war Glaser dabei, die Tür aufzuziehen. Sie knarrte und schabte auf halber Höhe, als würde ein Monster stöhnen. Glaser kam es auch wie eine letzte Warnung vor dem entscheidenden Schritt in die Tiefe vor.
Er brauchte Licht.
Als geisterhaftbleicher Schatten huschte der Lichtstrahl über die alten Stufen.
Sie waren ausgetreten, schmutzig und grau. Sie führten steil in die Tiefe eines Areals, das Glaser nicht kannte. So wie er mußte sich ein Raumfahrer fühlen, der es geschafft hatte, einen fremden, unheimlichen Planeten zu betreten.
Er tat nichts.
Am Ende der Treppe lauerte niemand auf ihn. Das Licht stieß hinein in die Leere des Kellers.
Nur der Geruch blieb…
Stockig, alt, verwesend.
Er ging.
Auf der zweiten Stufe blieb Glaser stehen und schloß die Tür. Ihn erinnerte sie an einen Sargdeckel, den jemand zugeklappt hatte. Jetzt war er allein, ganz allein, nur auf sich gestellt. Ein einsamer Fußgänger, der sich aufmachte, den Vorhof der Hölle zu betreten.
Unter seinen Füßen knirschte der Dreck. Über und neben ihm atmeten die rissigen Wände eine starke Feuchtigkeit aus, die sich wie ein Mantel um die einsame Männergestalt legte. Er ließ sich nicht aufhalten. Die Tiefe des Kellers lockte ihn nicht, es war der Job und die Sucht nach der zweiten Hälfte des Honorars, die Glaser antrieb, sich schneller zu bewegen.
Der Gestank verschwand nicht.
Er drang auch nicht aus den Wänden gegen ihn. Er war einfach da, er wirkte irgendwo ziellos, er breitete sich aus. Mit jeder Stufe, die Glaser hinter sich ließ, hatte er das Gefühl, noch mehr von diesem Geruch einzuatmen.
Intensiv und furchtbar.
Irgendwo in der Tiefe des Kellers war etwas, das allmählich vor sich hinfaulte.
Kadaver…
Umschwirrt von Fliegen und anderen Schmarotzern. Jedenfalls überkam ihn diese Vorstellung. Glaser wußte auch nicht, wie groß der Keller war. Er hatte sich natürlich bei seinem Auftraggeber nach den Maßen erkundigt und nur die Antwort erhalten, daß er ziemlich groß und auch verwinkelt war.
In Treppennähe war davon nichts zu spüren. Ein normal grauer Steinboden, staubig und zerkratzt.
Glaser wollte sich von seinen unguten Gefühlen befreien und nur an seinen Job denken. Da ging er nach bestimmten Richtlinien vor. Zunächst einmal mußte er sich um die Leitungen kümmern. Sie wollte er zertrümmern. Damit konnte die Entmietung auf seine Weise beginnen. Er leuchtete Wände und Decke ab, ging dabei tiefer in den Keller hinein und kam sich vor, als wäre er dabei, ein feuchtes und stinkendes Riesengrab zu durchqueren.
Der breite Keller verengte sich zusehends. Die schiefen Wände wuchsen zusammen, bis sie schließlich den Beginn eines Ganges bildeten, der Ähnlichkeit mit einem starken Stamm aufwies, von dem die Äste als Gänge abzweigten.
Er leuchtete die Wände ab, drehte an der Lampe, damit der Strahl noch breiter wurde, und lächelte kalt, als er das erste Rohr sah, das an der Decke des Gangs entlanglief, nachdem es aus dem größeren Keller gekommen war und den Knick in den Flur hinter sich gelassen hatte.
Glaser hatte schon viele Keller gesehen, auch welche in alten Häusern. Über diesen hier wunderte er sich wegen der hohen Decke. Wenn er die Leitung zerstören wollte, mußte er sich schon recken, obwohl er als Werkzeug eine Axt benutzte.
Glaser stellte die Tasche ab. Er blieb in seiner gebückten Haltung und öffnete die Riemen. Dann klappte er das Leder hoch, leuchtete in die Tasche hinein und erfreute sich am Anblick der Werkzeuge. Auf den glänzenden Stellen der Hämmer, Zange, Äxte und Stemmeisen brach sich das Licht wie auf zahlreichen Spiegeln, allerdings interessierte sich Paul Glaser nur für die Axt. Er trug sie in einer Halterung an der Seite. Ein straff gespannter Riemen hielt sie in ihrer Position. Glaser löste den Druckknopf und holte die Axt hervor. Ihr Griff war leicht gebogen und handlich. Er wog die Axt in der rechten Hand, schaute gegen das Rohr und nahm Maß.
Im Licht der Lampe sah er, wie alt dieses Rohr war. Schon nach dem ersten Hieb würde es zersplittern. Er hatte seine Lampe hochkant gegen die Tasche gelehnt, damit das Licht in die Höhe strahlen konnte. Die graue Decke war feucht und
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