0741 - Im Haus der Ghouls
dabei. Sie bekamen Kuhlen und sahen so aus, als sollte die Haut nach innen gedrückt werden.
Etwa zehn Minuten später konnte sie das Geschirr wieder in den Schrank einräumen. Sie tat es ebenfalls mit sehr langsamen Bewegungen, als hätte sie Furcht davor, etwas zu zerstören.
Danach schaute sie in den Hof.
Der Mann, der in der ersten Etage wohnte und beinahe so alt war wie Agatha, hatte das aufgerissene und sehr schmutzige Pflaster betreten. Er ging gebückt, trug in der rechten Hand einen alten Metalleimer und steuerte eine Mülltonne an, in die die Ladung soeben noch hineinpaßte. Um auf sich aufmerksam zu machen, klopfte die Frau leicht gegen die Scheibe, und der Mann drehte den Kopf.
Er sah Agnetha, sein Gesicht verzog sich zu einem Lächeln, als er ihr zuwinkte.
Die Frau öffnete das Fenster. Es klemmte wie immer. Die alten Holzrahmen hätten längst ausgetauscht werden müssen, denn im Winter zog die Kälte durch die Ritzen.
»Hallo Clayton.«
Er nickte.
»Bald ist es soweit.«
»Was meinst du damit?«
»Meine Schwester und ich sind der Meinung, daß der Frühling Einzug hält. Oder?«
Clayton strich über sein weißes Haar, schaute gegen den wirklich blauen Himmel und wiegte den Kopf. »Ja, da kann sie recht haben, aber ich meine, es ist zu früh, viel zu früh. Wenn das so weitergeht, kehrt der Winter noch einmal zurück, dann aber heftig. Ich schätze, daß wir im April noch einmal Schnee bekommen werden.«
»Tatsächlich?«
»Sicher. Ich spüre es in meinen Knochen. Bis in die Füße hinein. Da ist ein Reißen und Spannen. In der letzten Nacht habe ich schlecht geschlafen. Hängt alles mit dem Frühling zusammen.«
Agnetha kicherte. »Du bekommst doch nicht etwa Frühlingsgefühle, Clayton?«
Er schüttelte traurig den Kopf. »In meinem Alter nicht mehr, Mädchen. Das ist vorbei.«
»Schade.«
Er zwinkerte ihr zu. »Hätte ich denn bei dir Chancen?«
»Wer weiß.«
Clayton lachte ruckartig. »Du bist mir eine ganz Schlimme, bist du mir. Aber ich bin nicht der richtige Mann für dich. Der neue Mieter würde dir passen - oder?«
Sie gab sich verlegen. »Nein, der ist zu jung für mich, glaube ich. Oder?« kokettierte sie.
»Weiß nicht. Wie alt bist du eigentlich? Darüber habe ich mir schon immer Gedanken gemacht.«
»Wirst du auch weiterhin können, denn eine Dame schweigt über ihr Alter.«
»Die Frauen ändern sich nie.« Er hob die Hand zum Gruß und ging wieder auf die Hintertür zu.
Agnetha verfolgte ihn mit ihren Blicken. Er drehte sich noch einmal um, eine Hand lag bereits auf der Klinke. »Sag mal, was meint ihr denn, wann das hier zu Ende ist.«
»Ich verstehe dich nicht.«
»Na ja«, sagte er stöhnend. »Irgendwann ist es doch aus. Dieser neue Eigentümer will das Haus verkaufen, dann…«
»Er ist ein Schwein.«
»Stimmt.«
»Aber er wird es nicht schaffen«, flüsterte Agnetha.
Clayton ging noch nicht. Er überlegte, und Agnetha wußte, daß er etwas Wichtiges sagen wollte, deshalb störte sie ihn nicht in seinen Überlegungen. »Es ist zwar komisch, vielleicht irre ich mich auch, aber ich komme mit diesem neuen Mieter nicht zurecht.«
»Wie meinst du das?«
»Na ja - möglicherweise bilde ich mir auch alles ein, aber er paßt nicht zu uns. Ich habe das Gefühl, als wäre er geschickt worden, wenn du verstehst.«
»Nicht die Bohne.«
»Geschickt von Young.«
Agnetha schwieg. Sie spürte das Eis in ihrem Körper. Wie ein Zapfen drückte sich die Kälte hoch.
Ihre Hände lagen flach auf der äußeren Fensterbank. Nun krümmte sie die Finger und hörte zu, wie die Nägel über das Gestein kratzten.
»Habe ich dich irritiert?«
»Hast du?«
»Das wollte ich nicht.«
»Schon gut, Clayton.«
Er öffnete die Tür und sagte, während er die Schwelle überschritt: »Darüber solltest du mal nachdenken, Agnetha.«
»Werde ich, Clayton. Werde ich zusammen mit meiner Schwester.« Sie wußte nicht, ob der Mann ihre Antwort verstanden hatte, denn er war bereits im Flur verschwunden.
Agnetha aber blieb noch am Fenster stehen. Gedankenverloren schaute sie in den grauen Hof, der an einer Stelle nicht mehr so grau war. Dank der Sonnenstrahlen.
Was Clayton da von sich gegeben hatte, kam ihr nicht einmal so unwahrscheinlich vor, und sie beschloß, mit ihrer Schwester darüber zu reden.
Agatha saß noch immer am Fenster und schaute hinaus. Sie drehte sich auch nicht um, als Agatha das Zimmer betrat, denn auf der Straße mußte es wirklich etwas Interessantes zu sehen
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