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0741 - Im Haus der Ghouls

0741 - Im Haus der Ghouls

Titel: 0741 - Im Haus der Ghouls Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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ein Kunstgeschöpf, wie die Puppe Olympia in der Oper ›Hoffmanns Erzählungen‹. Sie bewegte sich auch steif und manchmal ungelenk. Die Augen ließen einen Vergleich mit starren, blaßblauen Kugeln zu, und in ihrem Mund fielen noch die Lippen ziemlich stark auf. Sie waren sehr rot, was allerdings nicht auf eine Schminke zurückzuführen war. Zudem war der Mund klein und bildete im Gesicht einen herzförmigen Ausschnitt.
    Mit dem Gin ging sie wieder zurück.
    Agatha, die ältere Schwester, saß noch immer auf ihrem Platz und schaute durch das Fenster. Fünf Jahre lagen zwischen den beiden Frauen, aber Agatha wirkte um mindestens zehn Jahre älter. Graues Haar, graues Gesicht, eine Haut mit einem Muster aus Falten, ein Mund, der immer feucht glänzte, dunkle Augen und eine im Gegensatz zu Agnetha sehr kräftige Nase, die auch zu einem Mann gepaßt hätte.
    Der Platz am Fenster wurde ihr nie von der Jüngeren streitig gemacht. Agatha saß dort und schaute hinaus. Sie hing ihren Gedanken nach, beobachtete die Menschen, gab hin und wieder einen Kommentar ab, flüsterte der Jüngeren manchmal einige Worte zu, die Agnetha stets mit einem Nicken quittierte, denn widersprochen hatte sie nie.
    Auch in diesem Zimmer waren die Möbel dunkel und hoch. Der Schrank berührte fast die Decke. Er war mit Geschirr und anderen Dingen gefüllt, denn dieses eine Zimmer diente den Schwestern als Wohn-, Schlaf- und Eßraum. Hier spielte sich ihr Leben ab. Ein Bad gab es nicht, die Toilette befand sich im Flur, war oft unbrauchbar, und hätten nicht junge Leute im Haus gewohnt, die auch handwerklich geschickt waren, wäre es schon zu manch einer kleinen Katastrophe gekommen. Es war ein altes Haus, es wurde nichts renoviert. Im Gegenteil, der neue Besitzer versuchte, es systematisch zu zerstören.
    »Dein Gin, Schwester!«
    »Ahhh - danke.« Agatha drehte sich schwerfällig auf ihrem Stuhl herum und schaute auf das Glas, das ihr von Agnetha gereicht wurde.
    »Reicht es?«
    »Ja, meine Liebe.« Agatha lächelte. Ihre Finger umklammerten das Gefäß wie bleiche, erstarrte Schlangen. Sie trank in langsamen und genußvollen Schlucken, während sie weiterhin durch das Fenster auf die Straße schaute, als gäbe es dort etwas Besonderes zu sehen. Aber da war nichts. Nur die graue Straßenschlucht, in die sich hin und wieder ein weicher Sonnenstrahl verlor.
    In den letzten beiden Tagen hatte sich das Wetter gebessert. Die graue Wolkendecke über der Stadt war aufgerissen. Der Frühling schickte seinen ersten Hauch über London. An den Bäumen und Pflanzen zeigten sich die ersten Knospen, ebenfalls ein Zeichen, daß die Natur aus dem tiefen Schlaf erwachte.
    Agatha liebte es, einen Gin zu trinken. Sie genoß ihn. Er rann über ihre Zunge, sie schluckte einige Male, leckte auch noch Tropfen von den Lippen und stellte das leere Glas schließlich auf die schmale Fensterbank. Dann strich sie mit den Händen über die Decke, die auf ihren Knien ausgebreitet lag. »Bald kann ich darauf verzichten. Ich spüre den Frühling bereits. Alles wird sich ändern.«
    Agnetha war neben der Schwester stehengeblieben. »Alles?« fragte sie und beugte sich dabei vor.
    Die andere lachte leise. »Ich hoffe doch.«
    »Dann rechnest du damit, daß wir hier wohnen bleiben können?«
    »Ich hoffe es stark.«
    Agnetha nickte, lächelte wissend und strich der älteren Frau über das Haar. »Willst du nach draußen? Sollen wir einen kleinen Spaziergang machen?«
    »Vielleicht später.«
    »Wann?«
    »Am Nachmittag.«
    Agnetha nickte. »Gut, dann gehe ich jetzt in die Küche und räume ein wenig auf.«
    »Tu das.«
    »Noch einen Gin?«
    »Nicht jetzt, bitte.«
    Agnetha ging. Das leere Glas nahm sie mit. Trotz der Teppiche knarrten die Holzbohlen bei jedem Schritt.
    In der Küche roch es muffig. Agnetha machte es nichts aus. Sie und ihre Schwester wohnten schon über zwanzig Jahre in dem Haus, und so würde es auch bleiben, wenn es nach ihnen ging. Sie trat dicht an das Waschbecken heran, drehte den Hahn auf und freute sich, daß Wasser in einem normal dicken Strahl aus der Öffnung schoß und nicht hervortröpfelte, wie es leider oft genug der Fall war.
    Sogar klar sah es aus, und Agnetha holte die Dinge, die sie säubern wollte.
    Gläser, Tassen, anderes Geschirr. Sie bewegte sich nie schnell, sondern mit einer schon aufreizenden Langsamkeit. Manchmal verzog sie die Lippen nach innen. Das verkleinerte ihren herzförmigen Mund noch stärker, und auch ihre Wangen bewegten sich

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