0742 - Der Junge mit dem Jenseitsblick
das Bett. Der Junge stieß sich dabei den Kopf an der Wand, so daß vor seinen Augen Sterne aufblitzten und er in den folgenden Sekunden nicht in der Lage war, etwas zu unternehmen.
Als er sich wieder zurechtfand, da hatte der Mann bereits die Tür geschlossen und eine Waffe mit überlangem Lauf gezogen. Elohim war kein Waffenexperte, doch er wußte, daß dieser Mann auf den Lauf einen Schalldämpfer geschraubt hatte, und dafür gab es auch einen Grund.
Er wollte lautlos töten…
***
Pontresina!
Noch immer war der Morgen einfach wunderbar und wie geschaffen für einen Maler.
Schnee bedeckte das gesamte Tal. Zahlreiche Helfer hatten nicht nur Langlaufloipen gespurt, sie hatten auch Wege für Spaziergänger geschaffen, was Jessica und mir natürlich zum Vorteil gereichte. Auf der Schneedecke konnten wir uns ziemlich gut bewegen, wir mußten nur achtgeben, wenn wir an schattige Stellen kamen, weil der Schnee dort überfroren und glatt war.
Das Waldgebiet zwischen Pontresina und St. Moritz lag hinter uns, und unser Blick fiel auf den Ort, der sich in seinen Werbeprospekten als »top an the world« bezeichnete.
Für manche Zeitgenossen bot er schon eine imposante Kulisse. Ich jedoch war von der Ansammlung an Häusern nicht so angetan, denn man hatte in den letzten Jahren sehr viel gebaut. Die Straßen waren eng, bergig und auch kurvig. Oft genug herrschte ein Verkehr wie in einer Großstadt.
Davon spürten die Gäste des weltweit bekannten Palace-Hotel nichts. Es lag mit seiner Südseite zum See hin und bot als Bauwerk eine imposante Kulisse, die einfach nicht übersehen werden konnte und oft genug in der Regenbogenpresse abgebildet wurde.
Wir mußten einen kleinen Hang hinabrutschen, gingen über einen schmalen Weg; der parallel zu einer Loipe lief, und standen schließlich auf dem zugefrorenen See.
Ich blieb stehen und genoß den Anblick der imposanten Landschaft. Wer diese Gebirgskulisse auf sich einwirken ließ, konnte die Menschen verstehen, die immer wieder in das Engadin fuhren, um dort im Winter oder auch im Sommer Urlaub zu machen.
Es war einfach grandios.
Auch deshalb, weil eine prächtige Wintersonne am Himmel stand und die Gletscher in zahlreichen Farben schimmern ließ. Wer genau hinschaute, entdeckte an den Hängen auch die Skiläufer, die wie winzige Spielzeugfiguren wirkten.
Jessica Long war auf dem bisherigen Weg ziemlich schweigsam gewesen. Wahrscheinlich schmollte sie noch wegen Franca Simonis, aber das würde sich geben.
Es herrschte noch nicht viel Betrieb. Die meisten Spaziergänger würden erst gegen Mittag erscheinen, so daß wir uns auf dem zugefrorenen See ziemlich allein vorkamen.
»Was interessiert dich denn so?« fragte mich Jessica.
Ich hob die Schultern. »Diese Landschaft ist wirklich einmalig. Sie ist kaum zu beschreiben.«
»Stimmt. Deshalb bin ich auch hergefahren und freue mich, daß du mich begleitest.«
Ich nickte. »Ja, dafür bin ich dir dankbar. London ist so herrlich weit weg. Wer hier steht und schaut, der kommt erst gar nicht auf den Gedanken, daß es Arbeit gibt. Zudem meint es der Liebe Gott besonders gut mit uns.«
»Jeder bekommt, was er verdient.«
Ich mußte lachen. »Unbescheiden bist du nicht.«
»Warum auch?« Sie hakte sich bei mir ein. »Komm, laß uns gehen, wir haben noch einiges vor uns.«
»Paß nur auf, daß es kein Streß wird.«
»Ich dachte immer, du seist in Form. Wenn wir schon nicht Ski laufen, sollten wir wenigstens wandern.«
»Aber nicht marschieren.«
»Meine Güte, bist du faul.«
»Ich will nur entspannen.«
Wir gingen weiter. Rechts von uns lag St. Moritz. Hin und wieder bedachte ich die Kulisse mit einem Blick, die im Licht der Sonne ungewöhnlich hell aussah.
»Hat sie dir gefallen, John?«
Ich wußte sofort, wen Jessica meinte und verdrehte die Augen. »Himmel, ich habe nicht mit ihr angefangen. Sie bat mich nur, ihr den Rücken einzucremen. Wäre ich nicht in der Nähe gewesen, hätte es ein anderer getan. Es war der reine Zufall. Außerdem habe ich zuerst dort gelegen. Sie ist später gekommen.«
»Ja, ja…«
»Das meinst du nicht so.«
»Doch, John, doch. Wie heißt sie doch gleich?«
»Franca Simonis. Ist Italienerin. Mehr weiß ich auch nicht von ihr. Alles klar?«
»Sicher.«
Das war es nicht, ich merkte es und fragte: »Warum bist du eigentlich so mißtrauisch?«
»Du nicht?«
»Nein.«
»Bei deinem Job?«
Ich blieb stehen und winkte ab. »Nun fang du nicht mit meinem Job an! Ich bin froh, daß ich
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