0742 - Der Junge mit dem Jenseitsblick
wie Mallmann mit den Vampiren und Hexen. Ich hatte meinen Koffer gepackt und war gefahren.
Sehr zur Überraschung meiner Freunde, die mir so etwas nicht zugetraut hätten.
Ehrlich gesagt, ich mir selbst auch nicht. Und ich hatte ihnen auch nicht verraten, wem ich diesen Urlaub verdankte.
Die Frau hieß Jessica Long!
Sie war eine Künstlerin, sie war ein Geschöpf, das mich vom Hocker riß. Wir wußten beide genau, was wir voneinander zu halten hatten, und wir hatten deshalb einen Kompromiß geschlossen.
Wir wollten Unsere Beziehung ziemlich locker lassen und sie - wenn möglich - geheimhalten.
Ich wollte keinen Ärger mit Glenda Perkins und Jane Collins. Ihre spitzen Bemerkungen hätten mich immer wieder getroffen und wären mir wie kleine Nägel in die Seele gedrungen.
Ich wollte Ruhe - und Jessica.
So waren wir dann bis Zürich geflogen, hatten uns dort einen kleinen BMW als Leihwagen gemietet und waren nach Pontresina gefahren, in ein Hotel, das noch aus dem letzten Jahrhundert stammte und mächtige Neoklassizistische Fassaden aufwies, in seinem Innern jedoch mit modernstem Komfort ausgestattet war.
Die erste Nacht lag hinter uns, und wir konnten überlegen, wie wir die sieben Tage herumkriegten.
Ganz neu war mir die Gegend nicht. Etwa fünfzehn Kilometer, am anderen Ende des Tals, lag der Ort Sils Maria. Dort hatte ich vor einigen Monaten zusammen mit meinem russischen Freund Wladimir Golenkow das Grauen im Grand Hotel erlebt und dachte jetzt noch mit gelindem Grauen an dieses Abenteuer.
Das würde mir diesmal nicht passieren…
Jedenfalls hoffte ich es.
Wir hatten hervorragend gefrühstückt, dann war Jessica verschwunden. Sie wollte noch Sonnencreme mit einem hohen Lichtschutzfaktor einkaufen und für ihre Kamera einen neuen Film besorgen.
Außerdem brauchte sie einen Schal.
Keinen Schritt zuviel im Urlaub, das hatte ich mir vorgenommen und an diesem Morgen bereits damit begonnen.
Jessica war allein gegangen, und ich hatte es mir so lange in einem Liegestuhl bequem gemacht. Er stand an der zum Süden hin ausgerichteten Rückseite des Hotels mit der Krone, wo sich auch der große Pool ausbreitete, der um diese Zeit allerdings zugefroren war und nun als Eisbahn diente.
An einer Seite des Pools standen die Liegestühle. Decken lagen bereit, denn im Schatten war es ziemlich kalt. Die Stühle waren zum Süden hin ausgerichtet, damit die Sonne ihre Kraft entfalten konnte, wobei man an das Ozonloch lieber nicht dachte.
An diesem Morgen strahlte der Himmelskörper noch im Osten. Ich hatte meinen Liegestuhl so gedreht, daß ich mich der wunderbaren Wärme hingeben konnte und süffelte an einem Glas Wein, das ich mir von einem Ober hatte bringen lassen.
Ein herrliches Leben!
Wann konnte ich schon derartige Vormittage dermaßen genießen? Mir fehlte daran die Erinnerung.
Ich grinste in mich hinein, als ich daran dachte, was meine Freunde in London wohl dazu sagen würden, wenn sie mich in dieser lässigen Haltung sahen.
Die hielten mich glatt für verrückt.
Das aber war ich nicht. Ich hatte nur beschlossen, alles richtig zu genießen.
Die Sonne schien schon ziemlich warm. Es war März, der Frühlingsanfang stand vor der Tür, aber hier, in knapp 1800 Meter Höhe, war noch tiefer Winter, auch wenn der Schnee tagsüber etwas taute, aber nachts wieder fror, da die Temperaturen unter den Gefrierpunkt sanken.
In Werbeprospekten von St. Moritz ist oft genug von der Champagnerluft geschrieben worden. Darüber hatte ich immer gelacht. An diesem Morgen aber erlebte ich sie. Die Luft schien wirklich leicht und prickelnd wie Champagner zu sein. Sie umflorte mich, und ich hatte das Gefühl, sie nicht nur atmen, sondern auch trinken zu können. Dieser Urlaub schien sich zu einem gottvollen Erlebnis zu entwickeln, zumal ich ja von einer Frau, die fast den Körper einer Göttin hatte, begleitet wurde.
Jessica Long war Künstlerin. Sie arbeitete mit Puppen und auch mit alltäglichen Dingen, die andere schon längst auf den Müll geworfen hätten. Ihre Wohnung unter dem Dach, die gleichzeitig ihr Atelier war, konnte man als einzige Performance ansehen. Überall standen ihre Werke, die manchmal farbenfroh, dann wiederum absolut traurig wirkten, wenn sie die Realitäten des Alltags mit den Augen der Künstlerin betrachtete und vor allen Dingen die Umwelt mit einbezog.
Jessica war anerkannt, sie hatte schon einige Ausstellungen hinter sich und gut verkauft.
Gemeinsam hatten wir schon einige harte Abenteuer
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